Artikel verfasst von Frank Joung
Diese Episode ist Teil der Serie „Sport-Edition“

Im Leben von Sharanya „Sharu“ Sadarangani dreht sich alles um Cricket. Die 25-jährige Inderin hat schon mit zwölf Jahren Geld mit dem Sport verdient. In dieser Episode erzählt sie, warum Cricketspielen für sie ein feministischer Akt ist, wie das Leben in Europa sie verändert hat – und wie Mangos schmecken müssen.

Cricket ist nach Fußball die zweitpopulärste Sportart auf der Welt – aber hierzulande kennt kaum jemand die Regeln. In Indien ist das ganz anders. Das Land ist verrückt nach dem Schlagballspiel, das im Übrigen bei Olympia (noch) keine Beachtung findet.

In Deutschland gibt es seit ein paar Jahren einen Cricket-Boom, vor allem durch den Einfluss von Geflüchteten, die aus Ländern kommen, in denen Cricket eine große Rolle spielt, z. B. Afghanistan.

Erst Cricket, dann Schule

Sharu, die in Indien geboren ist, spielt bereits in jungen Jahren auf der Straße Cricket. „Wenn du die Scheibe kaputt gemacht hast, gab es sechs Punkte“, scherzt sie. Mit acht ist sie bereits im Verein aktiv; mit zwölf spielt sie in regionalen Auswahlmannschaften und verdient Geld durch den Sport. Mit 13 steht sie im Aufgebot des U-19-Teams des Bundeslandes.

Sharu ordnet dem Sport alles unter. Sie wechselt mehrmals die Schule – damit sie ihr Training und die Spiele besser im Alltag unterkriegt. Zum Teil bekommt sie sogar Privatunterricht am Abend. Jeden einzelnen Tag der Woche steht sie auf dem Feld.

Der Druck – sportlich wie schulisch – ist schon früh groß, zumal Sharu im südindischen Bangalore aufwächst, der IT-Hochburg des Landes. Sie sagt: „In Indien fragt man nicht: Was willst du nach der Schule machen? Sondern: Was willst du studieren?“

Als sie mit 18 zum Studium der Liberal Arts nach England geht, merkt sie im Cricket-Verein, wie ehrgeizig und zum Teil verbissen sie war. Hier ist alles etwas entspannter und weniger kompetitiv als in ihrem Heimatland. „Da hatte ich weniger Druck, aber auch mehr Spaß am Cricket“, sagt sie. Das Leben in England gefällt ihr gut. „Es ist selbstbestimmter“, findet sie. „Ich hatte kein Heimweh. Nur das indische Essen hat mir gefehlt, vor allem die Mangos!“

Heimat und Unabhängigkeit

Dann zieht Sharu fürs Studium nach Deutschland („War besser für mein Portemonnaie“), arbeitet als Au-Pair bei einer deutschen Familie in Husum – und spielt für die dänische Cricket-Nationalmannschaft.

Mittlerweile lebt sie in Hamburg und gehört derzeit als Wicket-Keeperin, einer Art „Torwart“ beim Cricket, zum deutschen Aufgebot. Am Leben in Europa mag sie die Unabhängigkeit und persönliche Freiheit, die sie in Indien – besonders als Frau – nicht so ausgeprägt gefunden hat. Nach mittlerweile drei Jahren in Deutschland kann sie ihre „Heimat“ gar nicht eindeutig lokalisieren. In Indien wird sie oft als „englisch“ wahrgenommen; in Europa ist sie die Inderin.

„Ich habe das Gefühl, dass ich weder ganz zu Indien noch zu England oder Deutschland gehöre.“

Rassistische Situationen habe sie zwar hin und wieder erlebt, insgesamt sei ihr aber meist positiv begegnet worden. In Indien sei Diskriminierung ein großes Thema – unter Inder*innen. Noch immer gebe es eine starke Hierarchie und eine damit einhergehende Abwertung aufgrund der Kasten. Auch hätten Frauen nicht dieselben Rechte wie Männer.

„Deutsche können sich auch integrieren“

Ihre Konstante ist der Sport; in Hamburg baut sie eine Cricket-Frauenmannschaft auf. Es kommen viele, die vorher noch nie mit Cricket in Berührung gekommen waren. Sharu mag es, anderen ihre Leidenschaft näherzubringen.

„Ich kann mich besser durch Cricket verständigen und verbinden. Der Sport vernetzt viele Kulturen. Im Team helfen wir uns immer gegenseitig.“

In ihrem Verein Kummerfelder SV trainiert sie zudem die U9- und die U11-Jugendmannschaften und ist die Damenwartin. Auch wenn der Anteil an Nichtdeutschen noch sehr hoch ist, das Interesse von Deutschen an Cricket wächst. „Im Verein sprechen wir alle Deutsch. Dann können sich auch die Deutschen integrieren.“

Im Juni 2020 schreibt sie Cricket-Geschichte: Bei der European Cricket Series T10 (einer kürzeren Cricketvariante) spielt sie als erste Frau bei den Männern mit. Während das hierzulande kaum eine Meldung wert ist, wird Sharus Auftritt in internationalen Cricketkreisen große Beachtung geschenkt. Das Turnier, das in Deutschland fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, wurde in vielen Ländern live ausgestrahlt. „Das Spiel hat sogar meine Oma in Indien im Fernsehen gesehen“, sagt Sharu.

Nach Indien will sie erstmal nicht zurückkehren. „Wäre ich ein Mann – vielleicht. Als Frau lebe ich lieber hier. Aber man soll niemals nie sagen. Solange es Cricket gibt, ist alles gut.“

Weitere Themen im Podcast: Was Sharu an Deutschland komisch findet und wie sie das Leben in Europa verändert hat.

Sharu auf Instagram: @sharukaru

Die Serie “Halbe Katoffl Sport“ ist im vergangenen Jahr in Kooperation mit „Integration durch Sport“ entstanden, anlässlich dessen 30-jährigen Jubiläums. Das Bundesprogramm wird vom Bundesinnenministerium und vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gefördert. Wegen des großen und positiven Zuspruchs wird die Podcastreihe in diesem Jahr fortgeführt. Sie erscheint immer Mitte des Monats. Hier findest du die anderen Sport-Episoden.