Artikel verfasst von Frank Joung

Leila El-Amaire ist Berlinerin mit syrisch-palästinensischem Background. Die 29-Jährige spricht darüber, was ihr Leben entschieden mit verändert hat, wie ihre Eltern aufs Kopftuch reagiert haben und wie Worte empowern können.

In ihrer Familie ist Leila lange die einzige „Deutsche“. Ihre beiden Brüder sind zwar in der DDR geboren, bekommen die deutsche Staatsbürgerschaft aber erst viel später. Ihr Vater ist aus Palästina und ihre Mutter aus Syrien.

Leila wächst in Berlin-Pankow auf. Schon früh, so sagt sie, ist ihr und auch den anderen klar, dass sie eine andere Herkunft hat als die Mitschüler*innen aus ihrer Klasse. „Du bist so dunkel“, wird ihr oft gespiegelt – was sie immer wundert, weil sie sich nicht als dunkel definiert. An den vermeintlich „kleinen“ Dingen wird ihr das „Anderssein“ vermittelt.

„Ich war in der Klasse immer diejenige, die mit am besten Deutsch gesprochen hat – in einer deutsch-deutschen Schule – und das hat die immer gewundert, so nach dem Motto: Warum kannst DU so gut Deutsch?“

„Der größte Realitäts-Check war 9/11“

Der größte Realitäts-Check kam dann, als der Terroranschlag auf das World Trade Center in New York verübt wurde.

„Am nächsten Tag kamen wir in die Schule, alles war still und sehr ernst und die Lehrerin hat was dazu gesagt und ich hatte das Gefühl, dass alle Blicke auf mir liegen. Zu 9/11 hat wohl jeder muslimisch gelesene Mensch eine Geschichte zu erzählen. Danach kamen die ganzen Kriege, die mich emotional auch beschäftigt haben, weil die Kriegsregionen close to home waren. Das hat mich ab da immer begleitet.“

Leila wechselt die Schule und stellt fest, dass sich Vorurteile auch in schlechteren Noten manifestieren können. Der zweite Realitäts-Check, wie sie es nennt, ist die Französischlehrerin, die ihr nicht nur die Freude an der Sprache nimmt, sondern sie noch zu Unrecht schlecht beurteilt.

Leila ist aber generell eine sehr gute Schülerin. „Ich habe mir selber den Druck aufgebaut, dass ich immer die besten Noten haben muss, dass ich mich immer von der besten Seite zeige und höflich bin. So nach dem Motto: Versuch keine Ecken und Kanten dazulassen, damit sich keiner an dir stößt.“

Ihre Mutter, selbst geprägt von Rassismus, habe ihr mit auf dem Weg gegeben:

„Sie sehen dich als anders. Du musst die Beste sein, weil: Sie wollen nicht, dass du die Beste bist.“

„Für meine Eltern war das Kopftuchtragen ein Albtraum.“

Im Studium – Leila studiert Jura – entscheidet sie sich, ein Kopftuch zu tragen. „Aus spirituellen Gründen“, sagt sie. Während ihre Freund*innen das zumeist ungefragt und unkommentiert akzeptieren, sind ihre Eltern dagegen. „Sie haben gesagt: ‚Mach das nicht. Setz es wieder ab. Du wirst keinen Job finden und du kannst dich jetzt gar nicht mehr verstecken.‘ Für sie war das ein absoluter Albtraum.'“

Aber Leila bleibt dabei, auch wenn die Diskriminierungen und Vorurteile ihr gegenüber noch deutlicher zutage treten. Wenn zum Beispiel vorbeieilende Leute vor ihr auf den Boden spucken. Die Konsequenz, die sie daraus zieht:

„Seitdem ich Kopftuch trage, meide ich bestimmte Orte.“

Leila und ihr Mann, die gemeinsam ein Kind haben (das zweite ist zum Zeitpunkt des Gespräches unterwegs), haben schon mit dem Gedanken gespielt, Deutschland zu verlassen. „Ich will meinen Seelenfrieden haben. Ich will meine (eventuelle) Verbitterung nicht an meine Kinder weitergeben.“ Was sie vor allem davon abhält, sind die Eltern, die nicht noch einen neuen Anfang im Ausland wagen wollen. Zudem stellt sich die Frage, wohin.

Safer Space: Slam Poetry

2011 gründet Leila mit anderen das Künstler*innenkollektiv „i, Slam„, eine laut Website „muslimische Version des Poetry Slam“. Eine Plattform für junge Muslim*innen, die ihre eigene Bühne schaffen, um zu Wort zu kommen.“

„Auch wenn wir es damals noch nicht so benennen konnten, aber damit haben wir den ersten Safer Space für uns im Bühnenbereich geschaffen.“ Mittlerweile haben die Alteingesessenen die Haupttätigkeiten an die junge Generation weitergegeben, an der sie bereits merkt, dass sie mit einem größeren Selbstvertrauen ans Mikrofon treten, als sie es früher vielleicht getan haben. „Das ist es, was wir wollten, ein ‚Mehr‘ für die, die nachkommen.“

Weitere Themen: Toxische Diskussionskultur, Ausländeramt, Elternsorgen.

Leila auf Instagram: @leilonymous

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