Kaweh Niroomand wurde 1952 in Teheran im Iran geboren. Mit zwölf Jahren schickten ihn seine Eltern alleine nach Deutschland – für eine bessere Schulausbildung. Der 66-Jährige spricht über den schwierigen Start im neuen Land, wie er stets fast zufällig in Führungspositionen geriet und was er bei seiner Rückkehr in den Iran nach 44 Jahren erlebte.
Nur durch die Kellertür
Der Anfang im Westen von Deutschland ist schwer. Kaweh Niroomand spricht kein Deutsch und wohnt zunächst bei einem älteren deutschen Pärchen in einem kleinen Dorf. Als er ankommt, beginnen gerade die Sommerferien. In seiner Umgebung gibt es keine anderen Kinder und nicht viel zu tun. Er langweilt sich. Und „zu Hause“ darf er nicht den Haupteingang nehmen – er muss durch die Kellertür gehen.
„Es war eine harte Zeit. Ich habe nachts viel geweint und Heimweh gehabt.“
Warum war er überhaupt da? Seine Eltern hatten ihn mit einem Onkel und einer Reisegruppe per Bus nach Deutschland geschickt. Er sollte eine ordentliche Schulausbildung genießen. Mehrere Tage sind sie unterwegs. „Am Anfang ist Kaweh nicht traurig, doch dann vermisst er seine Familie.
Mitte der 1960er Jahren war die Möglichkeit, weltweit zu kommunizieren, sehr begrenzt. Kein Internet, kein Whatsapp, kein Face Time, nicht mal telefonieren kann er mit seinen Eltern. Sie schreiben sich Briefe.
Kaweh bekommt Privatunterricht in den Sommerferien. „Ich hatte jeden Tag Sprachunterricht bei meinem Gastvater. Ich habe die deutsche Grammatik von der Pike auf gelernt. Manche wundern sich heute noch, wie gut ich die Regeln kann. Das habe ich ihm zu verdanken.“
Solidarität trotz Fremdheitsgefühl
In der Schule ist er der einzige Ausländer. Die Kinder beäugen ihn, lachen ihn für seine Schuhe aus. Aber trotz des Fremdheitsgefühls, trotz der abwertenden Sprüche habe er insgesamt immer ein Solidaritätsgefühl gespürt.
„Für sie war ich fremd, aber man hat mich nie runtergeputzt. Keiner hat gesagt: Hau ab hier.“
Seine Schulzeit ist geprägt von den Studentenunruhen. Es sind bewegte Zeiten – Kaweh engagiert sich politisch. Schon früh übernimmt er Führungspositionen. Als er Schulsprecher wird – als „einziger Ausländer der Schule“ – und Mitspracherecht für die Schüler*innen einfordert, missfällt das der konservativen Lehrerschaft. „Ich war kein Mitläufer. Ich wollte schon immer mitbestimmen, wie man das Ganze voranbringen kann.“ Geprägt haben ihn die wenigen Lehrer, die anders waren.
Im Sport: Kapitän, Trainer, Geschäftsführer
Neben seinem sozialen und politischen Aktivismus ist er auch sportlich aktiv. Er spielt erst Faust-, dann Volleyball im Verein und schafft es sogar bis in die Bundesliga. Natürlich wird er Kapitän und irgendwann auch Trainer. So sei das immer bei ihm gewesen: „In meinen ganzen Leben habe ich immer Verantwortung übernommen.“
Als er wie von Anfang an geplant in den Iran zurückkehren will, beginnt dort gerade die Revolution. Seine Eltern und er entscheiden gemeinsam, dass er aus Sicherheitsgründen lieber in Deutschland bleibt. Da steht er nun: Mit einem Abschluss als Bau-Ingenieur, den er nur seinem Vater zuliebe gemacht hat. Er selbst wollte nie Ingenieur werden.
Nach 44 Jahren zurück im Iran
Mit einem Freund eröffnet er ein kleines Hotel. Dann bewirbt er sich als Vertriebler für IT-Systeme in der Hotelerie – und wird genommen. Und das, obwohl er nach eigener Aussage keine Ahnung von Vertrieb, IT oder der Hotelbranche hatte. Aber, so erkannte sein Gegenüber, er habe eine gute Geschichte. Und als Vertriebler bräuchte man immer eine gute Story.
In den Iran ist Kaweh nach 1972 nur ein einziges Mal gereist – und zwar beruflich, als Teil einer offiziellen Delegation. 2016, da ist er längst Manager in hoher Position, reist er in den Iran mit seinem iranischen Pass ein. „Da kam alles hoch: die Gefühle, meine Kindheit, die Erinnerungen an meinen Vater.“ Mittlerweile besucht seine Mutter die Familie in Deutschland regelmäßig. Kawehs (bereits erwachsenen) Kinder profitierten sehr davon. „Ich finde es toll, dass meine Söhne die Verbindung zu meiner Mutter hegen und pflegen.“
In seinem Ruhestand hat Kaweh mehr als zehn Ehrenämter. Unter anderem ist er Geschäftsführer der Berlin Recycling Volleys – eine der bedeutendsten Volleyball-Adressen in Europa. Seit 2018 ist er Vizepräsident Finanzen des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). „Ich finde, als Sportler haben wir viele Möglichkeiten, die wir in den Dienst der Gesellschaft stellen sollten. Wir haben eine soziale Verantwortung. Das ist mir sehr wichtig.“
Die Serie “Halbe Katoffl Sport” ist entstanden in Kooperation mit „Integration durch Sport“, das dieses Jahr sein 30-jähriges Jubiläum feiert. Das Bundesprogramm wird vom Bundesinnenministerium und vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gefördert.
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Kommentare von Frank Joung