Artikel verfasst von Frank Joung

Raul Aguayo-Krauthausen ist ein Medien-Tausendsassa. Der Aktivist wurde 1980 in Lima, Peru, geboren und ist in Berlin aufgewachsen. Bei Halbe Katoffl spricht er über seine besondere Schullaufbahn, wie der Film Vorstadtkrokodile ihn negativ geprägt hat und welcher öffentliche Satz ihn in die Medienwelt hat „stolpern“ lassen.

Nach rund zwei Jahrzehnten in den Medien hat sich Raul nicht nur einen Namen gemacht, sondern auch der Inklusionsbewegung ein Gesicht gegeben. Mit zahlreichen Projekten wie der Wheelmap, den Sozialheld:innen oder seinen Podcasts macht er immer wieder darauf aufmerksam, was in Sachen Barrierefreiheit und Inklusion falsch läuft in diesem Land.

Von Peru nach Berlin

Was viele aber nicht wissen, ist, dass Raul in Peru geboren wurde. Seine Eltern hatten sich in Südamerika kennengelernt. Die Eltern seiner Mutter waren bereits Jahre zuvor ausgewandert. Sein Vater stammt aus Peru. Als seine Eltern von seiner Behinderung – Raul hat Glasknochen – erfahren, entschließen sie sich, nach Deutschland zu ziehen, als Raul ein Jahr alt ist. Er wächst in Berlin auf.

„Ich kenne die peruanische Welt nur als Tourist“, sagt er. Zum einen, weil sein Vater keinen engen Kontakt zu seiner peruanischen Familie pflege, zum anderen, weil die Religiosität seiner peruanischen Familie Raul anstrenge. So wurde er als kleines Kind heimlich von einem seiner Onkel getauft.

„Die Familie dachte anscheinend, dass es eine Sünde sei, wenn ich ungetauft sterbe. Das heißt aber auch, dass sie davon ausgingen, dass ich nicht besonders lange lebe. Behindert leben in Südamerika zu der Zeit war viel mit Scham und Schuld behaftet.“

Raul hat das Glück, in eine „integrative Kita“ gehen zu können, die erste ihrer Art in Deutschland. Er hat gute Erinnerungen an seine Kindergarten- und Schulzeit. „Es hat wenig Mobbing und Ausschluss gegeben“ – auch weil die Kitagruppe geschlossen bis zur erweiterten Schule übernommen wurde.

„Ich wurde nie alleine gelassen“

Raul ist bei allen Schulaktivitäten dabei, so gut es geht zumindest. „Beim Fangenspielen war Raul eben Clippo. Ich hatte nicht den Eindruck, dass meinen nichtbehinderten Klassenkamerad:innen etwas gefehlt hat, ich aber habe viel bekommen und sie vielleicht auch viel von mir. Wir hatten eine tolle Kindheit.“

Raul habe früh verstanden, sagt er, wo seine Party sei und wo nicht. „Das ist zwar schmerzhaft – es gab natürlich auch Scheißjahre – aber man kann daraus auch Resilienzen entwickeln. Das Schöne war: Ich wurde nie alleine gelassen.“

Ein solch schmerzhafter Moment war, als die Klasse im Religionsunterricht den Film „Vorstadtkrokodile“ schaut. „Es war mir von der ersten Sekunde an unangenehm.“ In der 70er-Jahre Verfilmung geht es um einen traurigen Jungen im Rollstuhl, der vom Außenseiter zum Helden wird. Eigentlich als Feel-Good-Movie gedacht, geht die Botschaft für Raul nach hinten los.

„Ich dachte, vielleicht bin ich auch so traurig wie der Junge im Film und will es nur nicht wahrhaben. Ich habe mich umgeschaut und mich gefragt, ob meine Freunde auch hinter meinem Rücken über mich lästern. Es ging sogar soweit, dass ich dachte, dass meine Eltern meine Freunde bezahlen, damit sie mit mir spielen. Mir war vorher nie bewusst, dass ich ‚behindert‘ bin. Irgendwann habe ich begriffen, dass ich nie der Außenseiter war, der mir im Film suggeriert wurde. Und dass ich keine Heldentaten vollbringen muss, damit ich gemocht werde. Aber das hat Jahre gedauert.“

„Auf keinen Fall etwas mit Behinderung!“

Als es um die Berufsfindung geht, entschließt sich Raul „auf keinen Fall irgendwas mit Behinderung zu machen“. Er arbeitet bei einer Werbeagentur und dann beim Radio. Erst als er nach Jahren endlich seine Diplomarbeit angeht, widmet er sich wieder dem Thema „Behinderung“.

„Während ich las, eröffnete sich mir eine Welt, die ich aus eigener Beobachtung kannte, aber für die ich keine Wörter hatte.“ Durch Zufälle kommt er an Jobs als Synchronsprecher und Moderation mit Roger Willemsen und „stolpert“ so nach eigener Aussage in die Medienwelt hinein, wo er rund zwei Jahrzehnte später immer noch ist.

„Was ich schön finde, ist, wenn du eine Idee hast und dann dranbleibst, und dann irgendwann merkst, jetzt ist der Moment für diese Idee.“

https://raul.de/

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