Artikel verfasst von Frank Joung
Diese Episode ist Teil der Serie „Work-Edition“

Natalya Nepomnyashcha ist Unternehmensberaterin und Gründerin von Netzwerk Chancen. Die gebürtige Ukrainerin spricht bei Halbe Katoffl über ihre arbeitslosen Eltern, wie sie ohne Abitur den sozialen Aufstieg geschafft hat – und was in deutschen Schulen fehlt.

Natalya wurde 1989 in Kiew geboren. Als die Eltern aufgrund des Zusammenbruchs der Sowjetunion keinerlei Zukunft mehr in der Ukraine sehen, wandern sie nach Deutschland aus. Natalya erinnert sich an Inflation, „bitterste Armut“ und Leute mit Pistolen auf der Straße. „Das hat die Zeit da am meisten geprägt“, sagt sie.

„Du gehörst hier nicht her“

In Deutschland ist es auch erst einmal nicht leicht. „Auffanglager“ und „Übergangsklassen“ zeugen nicht von warmem Willkommens-Hallo, aber Natalya geht gerne zur Schule. Ihre Eltern dagegen finden sich in dem neuen Land nicht so zurecht.

„Das Schlimme für mich war, dass meine Eltern hilflos waren. Ich fühlte mich komplett unbeschützt. Meine Herkunft war mir nicht unangenehm, die war einfach da, unangenehmer war mir, dass meine Eltern von Hartz IV gelebt haben. Was sie immer noch tun. Sie sind seit über 20 Jahren arbeitslos.“

Natalya legt alle Energie in die Schule. Nach der 9. Klasse will sie aus eigenem Antrieb von der Realschule aufs Gymnasium wechseln, um Abitur zu machen. Doch der Konrektor eines Gymnasiums lehnt sie mit den Worten ab: „Du gehörst hier nicht her.“

Masterabschluss ohne Abitur

Natalya aber geht trotzdem ihren Weg, zieht mit 17 von Zuhause aus, macht zwei Ausbildungen in vier Jahren, geht nach London, wo eine ihrer Ausbildungen als Bachelor anerkannt wird. Sie schließt den Master in England ab, der wiederum in Deutschland als Abschluss anerkannt wird. Ein Master – ohne Abitur.

„Es war ein ganz beschwerlicher Weg, mit viel Kampfgeist und vielen Rückschlägen“,
sagt sie. Denn obwohl ihre Eltern Hartz IV empfangen, bekommt sie kein Bafög. In dieser Zeit wird ihr auch bewusst, wie das „System“ den sozialen Aufstieg von Menschen aus ökonomisch schwachen Familien erschwert statt fördert.

„Soziale Herkunft ist das Verbindende“

Als sie im politischen Berlin einen Job sucht und nicht bekommt, wird ihr klar, dass ihr ein Netzwerk fehlt. 2016 gründet sie das Förderprogramm „Netzwerk Chancen“, wo sie jungen Menschen niedrigschwellig bei der Jobsuche hilft.

„Soziale Herkunft ist das Verbindende.“ Denn Kinder aus Nichtakademikerfamilien oder aus ärmeren Verhältnissen haben, was den sozialen Aufstieg angeht, einen eklatanten Nachteil. Das ist sogar wissenschaftlich erwiesen.

Natalya, die hauptberuflich als Unternehmensberaterin arbeitet, hat zwar schon etlichen jungen Menschen mit ihrer Initiative geholfen, ist aber noch nicht zufrieden. „Ich habe das Gefühl, es muss noch sehr viel getan werden.“ Was ihre Organisation schon mal geschafft hat: Dass Soziale Herkunft als Diversitätsfaktor in die Charta der Vielfalt mit aufgenommen wurde. „Da haben wir lange für gekämpft.“

https://www.netzwerk-chancen.de/

Natalya auf LinkedIn: https://de.linkedin.com/in/natalya-nepomnyashcha

Diese Folge ist Teil der „Work-Edition“ mit dem Schwerpunkt Arbeit. Sie wird unterstützt von LinkedIn.