Artikel verfasst von Frank Joung
Diese Episode ist Teil der Serie „Kein Schlussstrich“

Eigentlich wollte Dan Thy Nguyen Schauspieler werden. Doch im deutschen Theater werde er keine Rollen bekommen, sagte man ihm. Also wurde er Regisseur – aber vorher musste er ein Theater erfinden. Der 37-Jährige spricht im Podcast über das Fluchttrauma seiner vietnamesischen Familie, wie er über Kunst seine Wut in den Griff bekam und wieso sein Stück über das Rostocker Sonnenblumenhaus sein Leben verändert hat.

Dan Thy wurde im Dezember 1984 in Düren geboren, ein Ort, der für ihn „wie ein Gefängnis“ war. Sein Vater arbeitet in der Braunkohle-Branche, seine Mutter putzt. Von ihrer Wohnung aus sieht man das Braunkohle-Kraftwerk, aus dem permanent Rauch aufsteigt. Für Dan Thy ist es nur die „Wolkenmaschine“.

„Wenn man was in seinem Leben machen wollte, musste man da weg. Ich wollte dem Ort, dem Katholizismus‘ und der Kleinbürgerlichkeit entfliehen.“

„Ich habe über die Kunst verstanden, dass Wut okay ist“

Zuhause leidet Dan Thy lange unter dem Flucht- und Kriegstrauma seiner Familie, vietnamesische Bootsgeflüchtete. Nachts, wenn er auf die Toilette geht, hört er manchmal seine Oma, die bei ihnen lebt und die im Schlaf redet und schreit. „Das waren Todesschreie!“, sagt Dan Thy. Seine Eltern sprechen nicht über das Erlebte, aber die Spannungen sind unterschwellig zu spüren.

„Das Unausgesprochene hat mich wahnsinnig gemacht. Ich habe alles getan, um meine Eltern aus der Reserve zu locken und dann entschieden, dass sie das Recht haben, das nicht zu machen. Ich habe immer gehofft, dass meine Eltern mich verstehen oder ich sie. Und diese Hoffnung zu verlieren, war wichtig um mit sich und anderen ins Reine zu kommen, um eine andere Form der Liebe zu entwickeln.“

Als Jugendlicher ist Dan Thy nach eigener Aussage ein „sehr wütender Kerl, der alles und sich selbst gehasst hat“. Dan Thys Familie erlebt zudem viel Rassismus. „Regelmäßig hat irgendwer irgendwas gegen das Haus geworfen.“

Dan Thy „flüchtet“ sich in Literatur. Er liest viel, taucht in andere Welten ein, was ihm auch hilft, seine Wut zu kanalisieren. „Das war Wutlesen!“, sagt er heute lachend. „Ich habe über die Kunst verstanden, dass Wut okay ist!“

Theater erfunden – Jobs bekommen

Nachdem er über die Schule an einem partizipativen Theaterprojekt teilnimmt, wächst in ihm langsam der Wunsch, Schauspieler zu werden, aber die private Schauspielschule, die er später in Hamburg besucht, bricht er früh ab. Ihm wird signalisiert, dass er im deutschen Theaterbetrieb als asiatisch gelesener Mensch keine Chanchen auf Rollen bekommen werde.

Aber auch als Regisseur ist es schwierig. Für ein Festival „erfindet“ er ein Theater, performt Stücke auf der Straße und bekommt so nach und nach Referenzen, die ihm auf seinem Weg helfen.

„Das Sonnenblumenhaus“ – zum ersten Mal in Rostock

„Was mein Leben aber verändert hat, war das Sonnenblumenhaus.“ Für das Stück interviewt er Vietnamesen, die Opfer waren beim Anschlag auf das Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen 1992.

„Die Interviews waren sehr emotional. Ich musste alles vergessen, was meine Eltern mir beigebracht haben, um den Menschen begegnen zu können.“

Denn die Interviewten waren vietnamesische Vertragsarbeiter aus dem Norden Vietnams, dem „kommunistischen Teil“ – Dan Thys Eltern hingegen waren aus dem Süden des Landes und sahen die „Kommunisten“ als Feinde. Die Premiere 2010 war eine Enttäuschung. „Ich glaube, es waren acht Leute da. Das hat damals keine Sau interessiert.“

Doch über die Jahre, auch durch die Produktion eines Hörspiels, wird die Bedeutung des Stücks immer mehr gewürdigt. 2021 wird das „Sonnenblumenhaus“ das erste Mal in Rostock selber – im Rahmen von „Kein Schlussstrich!“ aufgeführt – als szenische Lesung.

Laut Dan Thy soll es noch mehr Aufführungen des Sonnenblumenhaus geben. 2010 hat er mit seiner Produktionsfirma Marshmallow das Festival fluctoplasma – 96h Kunst Diskurs Diversität in Hamburg initiiert, ein Herzensprojekt von Dan Thy.

„Mein ungeordnetes Leben hat dazu geführt, dass ich jetzt ein sehr reiches Leben führe. Dass ich jetzt Dinge tun kann, für die mein Herz brennt und wofür ich aber auch leide – ich arbeite sehr hart, aber: Ich bin gar nicht mehr so wütend.“

Diese Folge ist entstanden in Kooperation mit „Kein Schlussstrich! Ein bundesweites Theaterprojekt zum NSU. Gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes und das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Programms „Demokratie leben!.