Artikel verfasst von Frank Joung

Colin Lovrinovic hat die australische und die deutsche Staatsbürgerschaft – und diverse andere Wurzeln. Ein Gespräch über falsche Schubladen, bewegende Migrationsgeschichte und Autobomben.

Bereits bei Colins Nachnamen beginnt die Verwirrung: Seine Familie spricht den Namen mittlerweile LovrinoVICK aus und nicht wie ursprünglich LovrinoVITSCH. Der Ursprung liegt wohl in der bewegten Ein- und Auswanderungsgeschichte der Familie.

Ein richtiger Aussie

Colins Vater flüchtet als Kind mit seiner Familie aus dem damaligen Jugoslawien nach Australien. Die Gegend um Istrien, die heute zu Kroatien gehört, war früher mal Teil von Italien. „Meine Großeltern sind in Italien geboren, aber es ist dieselbe Gegend.“ Nicht die Familien sind migriert, die Landesgrenzen haben sich verschoben.

In der Gegend um Sydney, in die Colins Vater zieht, gibt es nicht viele Ausländer. Sein Vater lernt schnell die Sprache, spielt Australian Football. Er sieht sich als Australier.

„Mein Vater hat sich in Australien assimiliert und ist ein richtiger Aussie geworden.“

Später lernt er eine Backpackerin aus Deutschland bei einer WG-Party kennen. Beim Geschirrspülen kommen sie sich näher und bleiben auch danach in Kontakt. Sie führen eine deutsch-australische Fernbeziehung – was damals eine große Leistung war: mit immens hohen Telefonkosten, ohne WhatsApp, Internet und Face Time. Sie heiraten und ziehen nach einer kurzen Lebensphase in Australien nach Deutschland. Dort ist die Jobsituation besser.

Im Sommer 1986 kommt Colin in Darmstadt zur Welt.

Angst vor Autobomben

Colin wächst zweisprachig auf. Doch der 32-Jährige erinnert sich auch an eine Zeit, als das Englischsprechen gefährlich zu sein schien. Als Colin im Grundschulalter ist, wohnt er in einer Gegend von Krefeld, wo auch britische Offiziere stationiert sind.

In dieser Zeit verbreiten Terroranschläge der Irish Republican Army (IRA) Angst und Schrecken.  Colins Mutter ist besorgt, da Colin öfter mit Kindern der britischen Offiziere spielt.

„Ich kann mich noch daran erinnern, dass unsere Mutter uns verboten hat, auf der Straße Englisch zu sprechen, weil sie Angst hatte, dass Terroristen uns in die Luft jagen könnten.

Die Nachbarn haben immer unter ihrem Auto nach Autobomben gesucht und soweit ich weiß, haben meine Eltern das auch mal gemacht.“

Abgesehen von der kurzen Phase, in der das Englischsprechen einen Hauch von Gefahr umweht, verschafft es ihm generell eher Vorteile. Der Englischunterricht in der Schule ist für ihn ein Klacks. In Musikbands ist er für die englischen Texte verantwortlich.

Colin nimmt sich überwiegend als deutsch wahr. Mit seinem Äußeren – groß, blond, blauäugig und hellhäutig – fällt er kaum auf. Nur der jugoslawische/ kroatische Name passe nicht zum Migrationshintergrund, bekommt er oft gespiegelt. Er fühlt sich als „Deutsch plus“.

„Ich hatte das Gefühl, als (Halb-) Australier war man einer von den ‚coolen‘ Ausländern.“

„Back to the Roots“

Mit 16 entscheidet er sich, für ein Austauschjahr nach Australien zu gehen. In das Land, in das sein Vater Jahrzehnte zuvor ein- und wieder ausgewandert war.

„Ich wollte mal diese Wurzeln, die zum Teil in meiner Familie liegen, kennenlernen.“

Ironischerweise kommt er in eine Gastfamilie, in der sein Gastvater deutscher Herkunft ist und seine Gastmutter spanisch-peruanische Wurzeln hat.

Die Kinder heißen passenderweise Heidi, Johann und Ulrich.

Von Beginn an steht er in seiner Schule im Mittelpunkt – was für den nach eigener Aussage damals schüchternen Colin nicht einfach ist. Trotzdem kommt er generell gut zurecht und hält auch die üblichen Nazi-Witze aus. Als Halb-Australier wird er aber nicht anerkannt. Seine Mitschüler*innen sprechen ihm seine australische Identität ab. Sie sagen: „Quatsch, du bist kein Australier.“

„Das war schon komisch. Da läufst du 16 Jahre herum und erzählst jedem, dass du Australier bist – und die sagen: Nein, du bist einfach nur eine Kartoffel. Ich habe mich nie so deutsch gefühlt wie während meines Austauschjahrs in Australien.“

Angst vor Stillstand

Nach seinem Schuljahr in Down Under kontert er das Fernweh mit Australian Football. Mit seinem Verein wird er dreimal Deutscher Meister – was nicht so heroisch ist, wie es klingt. Es gibt gerade mal eine Handvoll Teams.

Ein anderes Gefühl, das ihn umtreibt, ist die Angst vor Stillstand. In Deutschland muss er viel länger die Schulbank drücken als in Australien. „Ich wollte vorankommen und mein Ding machen.“

Er spürt auch eine Verantwortung seiner Familie gegenüber. Seine Großeltern mussten die Schule abbrechen, sein Vater ist Ingenieur in einem fremden Land geworden – da empfindet er es als große Last, weiterhin zur Schule zu gehen, während seine australischen Schulfreunde längst am „richtigen Leben teilnehmen“.

„Wenn mein Vater sich hocharbeiten kann aus dem Nichts, bin ich es mir und meinen Vorfahren schuldig, das Beste aus meinen Möglichkeiten zu machen – und nicht vor mich hinzuchillen.“

Leben in Australien?

Nach seine Studium „Music Business“ an der Popakademie Baden-Württemberg und Stationen bei Amazon, Universal Music, Porsche und Red Bull, baut er seit einem Jahr mit zwei Schulfreunden eine Unternehmensberatung auf.

Aber auch mit seiner australischen Gastfamilie und seinen australischen Schulfreunden hält er weiterhin Kontakt. Zum Teil arbeitet er sogar mit ihnen zusammen. Für die Zukunft könne er sich vorstellen, nach Australien zu ziehen. Vor allem dann, wenn sich Nachwuchs ankündigen sollte. Damit auch seine Kinder die australische Staatsbürgerschaft erhalten.

 

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