Artikel verfasst von Frank Joung
Diese Episode ist Teil der Serie „Kein Schlussstrich“

Bis Atif Hussein Puppenbauer wurde, war es ein weiter Weg. Der Berliner ist in der DDR aufgewachsen und hat sudanesisch-deutsche Wurzeln. Ein Gespräch über Einsamkeit in der Jugend, Theaterprotest gegen Blackfacing und Weintrauben nach dem Mauerfall.

Atif wird im November 1967 in Berlin geboren, im Osten der Stadt. Wenn er an sein Aufwachsen in Prenzlauer Berg denkt, erinnert er sich vor allem an die (geringe) Lautstärke. „Alles war stiller“, sagt er. Seine Mutter arbeitet als Journalistin, sein Vater ist erst Übersetzer und arbeitet dann beim Rundfunk. Er habe schon früh gemerkt, dass seine Familie „anders“ sei. „Es gab oft Bemerkungen, die machten keinen Sinn. Ich habe die nicht verstanden.“

Er erinnert sich auch an sein Grundgefühl der Einsamkeit, an physische und psychische Gewalt in der Schule und die unbeantwortete und unbeantwortbare Frage:

„Ich habe nicht verstanden: Warum gibt es so viel Gegenwehr gegen mich, gegen meine Existenz? Warum störe ich?“

Erst Pflege, dann Puppentheater

Erst mit einem Schulwechsel und dem Entdecken der Theater- und Kulturwelt atmet etwas in ihm auf. Die Theatererfahrung ist identitätsstiftend. „Es eröffnete Erlebnisräume, wo man seine eigene Identität bilden konnte.“ Nach dem Abitur geht er in den Pflegesektor, erst später bewirbt er sich für die Ernst-Busch-Schauspielschule, für Puppen-Schauspielkunst.

Den Mauerfall erlebt er mit gemischten Gefühlen: Während das Land in Chaos versinkt, stabilisert sich seine persönliche berufliche Situation mit einer festen Anstellung in einem Wohnheim für Behinderte. Er reist – nach Paris zum Beispiel, wo er zum ersten Mal bewusst eine Vielzahl von Schwarzen Menschen wahrnimmt.

Rassismus nach dem Mauerfall: befreiende aber anstrengende Debatten

Auch in Puncto Rassismus ist die Wende eine Befreiung. „Weil man ihn endlich benennen konnte und es schon eine Sprache dafür gab.“ Anders als in der DDR, wo es keine mediale Berichterstattung und keine gesellschaftliche Debatten darüber gab. „Andererseits war es auch wahnsinnig anstrengend, weil man das Problem jetzt erkannt hat.“

Im Theaterkontext politisiert er sich spätestens, als er sich einem stummen Protest bei einer Theater-Inszenierung anschließt. In dem Stück wird Blackfacing betrieben. Gesammelt verlässt die Gruppe den Saal, als die Blackface-Rolle erscheint.

Neben der Puppenschauspielkunst bringt er sich auch das Puppenbauen bei. Es sei faszinierend, wie eigentlich starre Puppen von Puppenspielern unterschiedlich zum Leben erweckt werden. „Puppen sind Individueen.“ Sie haben eine Geschichte. Und das versucht Atif in seinen Figuren auch auszudrücken. Statt Klischees zu reproduzieren, soll die Ambivalenz der Charaktere aufgezeigt werden. Denn die hätten wir alle, sagt er.

Diese Folge ist entstanden in Kooperation mit „Kein Schlussstrich! Ein bundesweites Theaterprojekt zum NSU. Gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes und das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Programms „Demokratie leben!.