Artikel verfasst von Frank Joung

Aileen Puhlmann, Jahrgang 1981, ist in Hamburg geboren, und hat ghanaisch-deutsche Wurzeln. Die 39-Jährige spricht über die vielen diversen Lebensrealitäten, die sie kennengelernt hat, wie sie bei den Pfadfinder:innen zurecht kam und warum sie mit ihrem Schwarzen Kind über Rassismus spricht.

Aileen versteht sich als Hamburgerin. Hier ist sie geboren und auch die Familie mütterlicherseits war stets fest in der Hansestadt verankert. Ihr Vater ist Ghanaer, doch er verlässt Aileens Mutter, bevor Aileen geboren wird.

„Ich wäre gerne integrierter gewesen“

Zwar hat ihre Mutter danach noch einen Partner, der ebenfalls aus Ghana kommt, doch auch er verlässt die Familie nach einigen Jahren. Zwar hat Aileen über ihre Tante durchaus Zugang zur ghanaischen Kultur, aber so richtig wohl und heimisch fühlt sie sich dort nicht.

„Ich habe mich als Kind etwas ungemütlich gefühlt in der ghanaischen Kultur. Ich war neidisch, ich wäre gerne integrierter gewesen und hätte gerne mehr verstanden. Es war ein bisschen so, als wäre ich identitätslos gewesen.“

Aileen wächst im Hamburger Stadtteil Mümmelmannsberg auf, einem sogenannten „sozialen Brennpunkt“. Dort sei sie von vielen anderen Kindern umgeben gewesen, die „alle im selben Boot“ gesessen hätten. „Wir hatten gemein, dass wir von außen nicht als deutsch wahrgenommen wurden.“

Die Schulzeit hat Aileen als nicht traumatisch empfunden, im Gegenteil: Sie wechselt oft – aus eigenem Antrieb – die Schule, ist sehr offen und lernt auf diese Weise viele verschiedene Menschen und Milieus kennen.

Sie spielt Basketball auf dem „Ghetto-Platz“ in ihrem Stadtteil und ist gleichzeitig Jugendgruppenleiterin bei den nicht gerade diversen Pfadfinderinnen. Sie kennt die Freie Schule, aber auch die Stadteil-IGS: „Ich habe alle Lebensrealitäten gesehen und dabei immer den Mehrwert erkannt“, sagt sie. „Für mich war das ein riesiges Spielfeld an Menschen und Erfahrungen.“

Anruf vom Vater

Im Auslandsjahr in Michigan, USA, bekommt sie aus heiterem Himmel einen Anruf von ihrem Vater – den sie bis dahin noch nicht persönlich kennengelernt hat. Sie trifft ihn in Los Angeles, wo er mit seiner neu gegründeten Familie wohnt. „Das hat natürlich neue Identitätsprozesse ausgelöst.“

Nach der Schule macht sie eine Reise mit Freundinnen nach Ghana, wo sie ihre restliche Familie trifft. Als sie aus dem Flugzeug aussteigt, erinnert sie sich, hat sie „krass Herzklopfen. Ich wusste, das ist gerade monumental für mich.“ Der Trip ist intensiv und emotional, aber sie macht auch viel Party mit ihren Freundinnen. Sie bleibt fünf Monate.

„Ich hatte immer ein Gefühl der Unzulänglichkeit in Ghana. Ich wusste, Ghana ist ein Teil von mir, aber ich kannte nichts. Mir ist bewusst geworden, dass ich nichts weiß.“

In Aileens Leben, so sagt sie selbst, scheint immer das eine nahtlos in das andere überzugehen. Ihr Lebenslauf liest sich stringent, aber „ich habe nie Pläne gemacht.“

Nach ihrem Au Pair in London studiert sie an der renommierten SOAS (School of Oriental and African Studies), wo sie ein unglaublich diverses Umfeld vorfindet. „Dort habe ich die ganze Welt kennengelernt“, sagt Aileen.

„Südafrika – das ist ein merkwürdiger Ort“

Ein Entwicklungsstipendium bringt sie nach Südafrika, ein Land, dass ihr anfangs gar nicht gut gefiel. „Am Anfagng war ich kein Fan. Ich wollte zwei Jahre machen – und bin sieben Jahre geblieben.“ Südafrika ist selbst für die afrika-affine Aileen Neuland. „Ich habe gedacht, das ist ein merkwürdiger Ort hier.“

Dieser besondere Mix aus Smalltown Southafrica, Apartheidstrauma, Kriminalitäts-Paranoia und Expat-Geklüngel, dann noch gemischt mit der Anfangseuphorie wegen der Fußball-Weltmeisterschaft ist überwältigend – vor allem für sie, die in Deutschland als Schwarz gilt und hier „Colored“ ist. Die Einheimischen können sie nicht einordnen. „Sie dachten, ich wäre eine eingebildete ‚Colored‘, die auf eine englische Privatschule gegangen ist.“

„In Südafrika musste ich meine Identität noch mal neu aushandeln.“

Empowern durch Sprache

Nach sieben Jahren kehrt sie 2016 für ihren heutigen Job – sie leitet den Verein Lemonaid & ChariTea e.V – nach Hamburg zurück – mit ihrer damals drei Jahre alten Tochter, die in Südafrika geboren wurde.

Nach so vielen Jahren im Ausland sieht sie Deutschland mit neuen Augen. Der Rassismus ist subtiler und weniger offen als in Südafrika. „Ich war am Anfang desensibilisiert. Hier ist alles so versteckt.“

Aileen beginnt, sich mehr und mehr antirassistisch zu engagieren, schreibt Beiträge und berät zum Thema. Zudem hat sie ein Projekt „Community Kids“ in Hamburg gegründet, ein Safe Space für Schwarze Kinder und Eltern.

Sie findet es wichtig, schon in jungen Jahren mit potenziell von Rassismus betroffenen Kindern über Rassismus zu sprechen. Damit belaste man sie nicht, sondern empowere sie – durch Sprache. Denn gerade für ihre Tochter gestalte sich die Lebensrealität noch mal anders. „Meine Tochter ist dunkler – mir ist klar, dass ich Privilegien habe, die sie nicht genießt.“

Ailen auf Instagram: @aileenpuhlmann

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