Artikel verfasst von Frank Joung
Diese Episode ist Teil der Serie „Work-Edition“

Jurist und Surf-Aktivist Afridun Amu wurde in Kabul geboren, hat in Moskau gelebt und ist in Göttingen aufgewachsen. Der 35-Jährige spricht über die „gruselige“ Zeit nach 9/11, wie er erster Surfmeister Afghanistans wurde und welche tiefen Erkenntnisse er durch seinen Spieltrieb gewinnt.

Als Afri Afghanistan verlassen muss, ist er noch sehr klein. Sein Vater ist Diplomat, seine Mutter Ärztin. Sie pendeln zwischen der Sowjetunion und Afghanistan. Mit dem Abzug der sowjetischen Truppen und dem Beginn innerafghanischer Kämpfe, flieht die Familie ganz nach Moskau.

An ihre Flucht danach aus Moskau nach Deutschland hat Afri sogar noch Erinnerungen: Ein „Menschenschleuser“ treibt sie schlagend voran, sein Großvater bekommt einen Diabetesschock – seine Mutter rettet den Opa mit einem Bonbon.

„Ich war immer der Ausländer“

Im niedersächsischen Göttingen bekommt er früh einen Kulturschock – im Kindergarten. Während in Moskau Strenge und Disziplin herrschte, laufen die Kids hier nackt durch die Gegend, spielen und machen Quatsch. „Es war ein Sommertag, in einem Waldkindertag, Waldorf angehaucht – ich dachte, ich bin in der Irrenanstalt. In Moskau haben wir Mathe gemacht, da herrschte Disziplin und man musste leise sein – und hier dann sowas. Was im Nachhinein cool war, aber ich habe ein bisschen gebraucht, zu schlucken, dass ich in so ein Tollhaus gesteckt worden war.“ (lacht)

Die Eltern trennen sich in Deutschland. Göttingen empfand er als nicht „soo cool“. Er hat Begegnungen mit Nazis, generell wird er oft als „Türke“ wahrgenommen. „Ich war schon immer ‚der Ausländer“ – daran habe ich mich auch abgearbeitet.“ Noch schlimmer wird es nach den Anschlägen vom 11. September, die er als Zäsur empfindet. „Das war eine gruselige Zeit.“ Irgendwann hat er das Stereotyp des „gefährlichen Terroristen“ für sich trotzig angenommen.

„Ich habe gedacht: Wenn ihr mich nicht haben wollt, dann will ich auch nichts mit euch zu tun haben.“

Aber das Kompensieren in eine Übermännlichkeit – er wendet sich mehr der Religion zu, macht Kampfsport – hält nicht lange an.

Surfen ist Liebe auf den ersten Blick

2006 nach dem Abi reist er mit Freunden an die französische Atlantikküste. Nachdem er zum ersten Mal auf dem Surfbrett steht, ist für ihn klar, dass er das Richtige für ihn gefunden hat. „Das erste Mal auf dem Brett – das war Liebe auf den ersten Blick“, sagt er rückblickend.

„Surfen ermöglicht, den Raum loszulassen und seinen Gedanken nicht nachzugehen. Man hat die Möglichkeit, im Moment zu sein und sich darauf einzulassen, was ist.“

Was anfangs zu einer Sucht wird – „Surfen war eine Droge. Ich war wie ein Besessener“ – setzt Afri jetzt bewusst ein, um Aufmerksamkeit auf sein kriegsgebeuteltes Geburtsland Afghanistan zu lenken. Er gründet den ersten afghanischen Surfverband, wird Nationaler Meister und nimmt als erster Surfmeister Afghanistans – einem Land ohne Meerzugang – an der Surf-WM in Biarritz teil. 2018 dreht er mit Surfer-Freunden die Doku „Unsurfed Afghanistan“.

Schwimmstätten und Surf-Therapie

„Vielleicht kann Surfen einen Tropfen Lebensfreude nach Afghanistan bringen“, sagt Afri am Anfang der Doku. Und Afri hat noch mehr vor: Schwimmstätten aufbauen, Surf-Therapie anbieten – doch die Pandemie und die Landesübernahme der Taliban 2021 machen ihm einen Strich durch die Rechnung. Doch Afri ist es wichtig, seine Plattform und seine Passion Surfen dafür zu nutzen, dass die Geschehnisse in Afghanistan nicht in Vergessenheit geraten. „Denn auch wenn wir derzeit nichts hören – es sieht sehr düster aus.“

Weitere Themen: Spieltrieb und Bedürfnis nach Erkenntnis, Mystischer Ozean, persisches Instrument und koreanisches Essen, Sommermärchen – nicht für alle und wie Krieg die Mentalität eines Landes verändert.

https://www.unsurfed.com/

https://yaarberlin.de/

Diese Folge ist Teil der „Work-Edition“ mit dem Schwerpunkt Arbeit. Sie wird unterstützt von LinkedIn.