Stefanie Knaab ist Gründerin und Vorsitzende des Vereins „Gewaltfrei in die Zukunft“. Die Organisation hat sich zum Ziel gesetzt, Betroffene von geschlechtsspezifischer Gewalt in der Paarbeziehung, vor allem bekannt unter Häuslicher Gewalt, dabei zu unterstützen, sich aus ihrer Situation zu befreien. Dazu haben sie in Kooperation mit Betroffenen, Behörden und Expert*innen eine bahnbrechende getarnte App entwickelt.
Steffi spricht in dieser Folge von Halbe Katoffl über exotisierende Kommentare, die Almanisierung durch ihre Mutter, offene ADHS-Tabs, was sie in Südostasien gelernt hat und warum sie fast für eine einzige SMS 4000 Euro ausgegeben hätte. Über krasse Liebesbeweise, kosmische Zeichen und fehlende Frauenhäuser.
Checkliste der Almanisierung
Stefanie wird im Sommer 1990 in Kempen am Niederrhein geboren. Ihre Eltern sind zu 100% deutsch (Vater) und zu 1000% marrokanisch (Mutter) – so zumindest gibt es Stefanie schmunzelnd an. In ihrer Kindheit spürt sie früh, dass sie „anders“ ist. In ihrem Ort ist sie das einzige Kind mit sichtbarem Migrationshintergrund.
Stefanie ist ein wildes Kind. Ihr wird ADHS diagnostiziert. Ihre Eltern versuchen alles, um sie zu beschäftigen:
„Meine Mutter hat gefühlt so eine Checkliste gehabt mit Dingen, die Deutsche machen. Und die hat die so abgecheckt für mich. Also ich war Messdienerin. Ich war im Kirchenchor. Ich war Funke-Mariechen. Sie hat versucht mich zu almanisieren.“
Doch nichts fruchtet so richtig. In der Jugend widmet sich Stefanie vor allem darin, Egoshooter zu spielen. „Das war so die einzige Möglichkeit, dass mein Gehirn mal wirklich still war, weil es war so reizüberflutet mit Geräuschen und mit Taktik und was die anderen gesagt haben.“
Häusliche Gewalt und Tarn-App
Stefanie spürt, dass sie eine „Wut auf die Welt“ hat, eine Rastlosigkeit und was Suchendes. Nach der Schule und ihrem ersten Job geht sie auf Selbstfindungsreise nach Südostasien. Es werden prägende Monate, ohne Plan, mit viel Zeit, Dinge zu verarbeiten. Sie lernt einen Mann kennen, dem sie nach Australien folgen will. Doch als sie dorthin reist – nachdem sie alle Zelte in Berlin, wo sie mittlerweile wohnt, abgebrochen hatte – macht er Schluss – per SMS. Stefanie bleibt trotzdem neun Monate.
Nach ihrer Rückkehr nach Berlin und ihrer Aufnahme des dualen Studiums lernt sie einen weiteren Mann kennen, mit dem sie eine Beziehung eingeht. Die Erfahrungen aus dieser Beziehung, in der sie mehrfach Gewalt erfährt, ist ein Auslöser dafür, dass sie später den Verein „Gewaltfrei in die Zukunft“ gründet und eine Tarn-App für Frauen entwickelt.
„Dieser Neuanfang, das ist für mich so das Davor und Danach, mein Leben davor und mein Leben danach, weil das ja eigentlich der Urknall meiner weiteren Lebensgeschichte ist. Ohne diese Erfahrung, ohne das, was passiert wäre, weiß ich nicht, ob ich diese App gemacht hätte. Ich bin 99 Prozent sicher, dass ich es nicht gemacht hätte.“
„Häusliche Gewalt ist nicht sexy“
Seit der Entwicklung der Tarn-App ist Stefanie auf der Suche nach weiteren Finanzierungs- und Verbreitungsmöglichkeiten: Derzeit ist die App – die geschützt verteilt wird und nicht im App-Store erhältlich ist – nur in Berlin und in Teilen Niedersachsens zugänglich.
„Wir haben es geschafft, dieses Thema vom Thema Frauen und Familie, hochzupushen auf nationales Sicherheitsthema. Und trotzdem ist es nicht sexy genug, weil das Thema ist unangenehm. Wenn man sich anschaut, jede dritte Frau ist im Laufe ihres Lebens betroffen, könnte man im Umkehrschluss sagen, jeder dritte Mann ist in einer gewissen Form Gewalttäter. Und das hat die andere Hälfte der Bevölkerung – wenn man jetzt in binären Geschlechterformen denkt – ja ein Problem mit.
Kommentare von Frank Joung