Regisseurin Soleen Yusef spricht im Podcast über ihren prägenden Filmriss im Leben, übers Ausprobieren und Außenseiterin sein und wie sie von Stationen wie Kurdistan, Ostfriesland, Ludwigsburg und Berlin nach vielen Umwegen dazu kam, Regie zu führen. Über Retraumatisierung, innere Reisen, echte Frauenfiguren und warum sie ihr Kinderfilm „Sieger sein“ geheilt hat.
Von Kurdistan nach Ostfriesland
Soleen wird im Februar 1987 in Duhok, in der Autonomen Region Kurdistan im Irak, geboren. In jungen Jahren muss sie aber flüchten. Die Familie folgt dem Vater, der vorausgegangen war nach Europa. Ihre erste Station in Deutschland ist Leer, Ostfriesland. Soleen, die den Mix aus Hitze, Auspuffabgase, Gewürzen, Trockenheit, Staub und Bergluft gewöhnt ist, sieht plötzlich grüne Wiesen, Pferdehof, Ein-Familienhäuser und asphaltierte Landstraßen.
Sie fühlt sich zwar wohl auf dem Lande – aber sie können nicht lange bleiben. Die Familie zieht weiter nach Wolfsburg, wo sie es als weniger schön empfindet. Dann gehts nach Berlin Wedding – das zu ihrem Zuhause wird.
„Ich sage das mit einem sehr warmen Gefühl: Ich komme aus Kurdistan. Zumal das sowieso schon oft ein Affront ist, von ‚Kurdistan‘ zu sprechen. Daher sage ich das auch gerne mal provozierend.“
Hunger nach Kunst und Kultur
Als Teenager ist sie still. Sie zeichnet, malt und beobachtet. Ihre Jugend ist geprägt von viel Einsamkeit und Druck von Zuhause. Erst durch eine kritische Bemerkung ihrer Lehrerin, ändert sie ihr Leben. Wird zielstrebiger und nach eigener Aussage „zu einer neuen Person“.
Nach der Schule will sie etwas mit Kunst machen. „Ich hatte immer einen Hunger nach Kunst und Kultur.“ Sie besucht die Bühnenkunstschule, singt Jazz und Oper. Sie ist gut, in dem, was sie tut, aber sie merkt auch: „Ich will nicht auf der Bühne stehen, aber ich habe gemerkt, wie sehr ich Schauspiel liebe und Leute gernen beim Spielen zuschaue.“
Nach zwei Jahren Praktikum bei einer Filmproduktionsfirma bewirbt sie sich bei Filmhochschulen – mit Wut im Bauch. Sie erlebt viel Misogynie am Set, cholerische männliche Regisseure und von Männern dominierte Filme.
„Ich dachte mir so: Nee, man, da muss es einen Gegenentwurf geben. Das kann nicht sein. Ich will nicht, dass Männer über Frauen erzählen. Das muss ich selbst machen.“
Sie besucht die Filmakademie Ludwigsburg. Auch da empfindet sie sich wieder als Außenseiterin. „Ich kam mit anderen Geschichten im Gepäck an.“ Aber sie probiert sich viel aus, lernt das Regie-Handwerk und arbeitet viel. „Für mich war das wie eine Spielwiese.“
Film wird eingeholt vom Krieg
Für ihren Abschlussfilm „Haus ohne Dach“ kehrt sie nach Kurdistan zurück. Es ist eine Reise in ihre Vergangenheit, ein Aufarbeiten, ein „Update“ der kindlichen Erinnerungen – und leider auch eine Retraumatisierung. Denn der IS terrorisiert die Region. Die Jesiden erfahren einen Genozid. Ihr Film, der von einer kriegstraumatisierten Familie handelt, wird eingeholt von dem Krieg in der Realität. Diese intensive Auseinandersetzung bindet Soleen aber noch einmal fest an ihre Heimat. Trotz des Schmerzes, sagt sie:
„Es war eine großartige innere Reise. Ich habe noch mal ganz andere Wurzeln geschlagen als Erwachsene.“
Der Film ist ein Erfolg und eine Ausnahme. Denn in der Filmlandschaft sind es – wenn überhaupt – kurdische Männer, die kurdische Geschichten erzählen. Soleen erinnert sich, dass sie immer unterschätzt wurde. „Niemand hat mir was zugetraut. Ich habe imnmer nur gedacht: Wartets ab! Ich wusste, was ich mache. Ich wusste im Kern, was das für ein Film wird.“
Sie führt Regie bei bedeutenden Projekten wie Skylines, Deutschland 89 oder Sam – ein Sachse.
Jugendfilm aus dem Wedding: Sieger sein
Im April 2024 kommt ihr erster Kinder- und Jugendfilm „Sieger sein“ heraus. Über ein geflüchtetes kurdisches Mädchen, das in den Wedding kommt und versucht durchs Fußballspielen in einer Mädchenmannschaft Anklang zu finden. Es ist eine Version ihrer eigenen Geschichte. „Dieser Film hat mich geheilt!“, sagt Soleen. Er spielt im Wedding, ihrem zweiten Zuhause. Mit einer Sprache aus dem Wedding, einem diversen Cast – und vor allem starken Mädchen- und Frauenfiguren.
Diese Folge ist Teil der „Work-Edition“ mit dem Schwerpunkt Arbeit. Sie wird unterstützt von LinkedIn.
Kommentare von Frank Joung