Artikel verfasst von Frank Joung

Poliana Baumgarten ist in Brasilien geboren und in Düsseldorf aufgewachsen. Die 29-jährige Videojournalistin spricht über ihr Karnevals-„Trauma“, wann Frisuren zu politischen Statements werden und welche Perspektive sie beim Filmen gerne einnimmt.

Poliana wird im Sommer 1991 in Recife, im Nordosten Brasiliens, geboren. Da sie aber schon als kleines Kind mit ihrer Mutter nach Deutschland zieht, hat sie kaum Erinnerungen an ihr Geburtsland.

Ihren leiblichen Vater kennt Poliana nicht. Die Eltern trennen sich früh. Mit sieben Jahren nimmt sie den Nachnamen ihres Stiefvaters an: aus „Da Silva“ wird „Baumgarten“. Für ihre Mutter sei es nicht leicht gewesen, in eine deutsche, weiße Familie einzuheiraten, erzählt Poliana, auch viel Heimweh habe ihre Mutter gehabt.

„Was ist schon deutsch?“

Eine ihrer ersten Erinnerungen an Deutschland ist: Karneval. Leider sind es keine guten Erinnerungen. „Das ist nicht meins.“ Das kalte Wetter, das warme Bier, die schreckliche Musik – „Karneval ist so whack“, sagt Poliana lachend. Und das, obwohl sie die generell fröhliche Mentalität der Rheinländer mag.

Das sich ihre Mutter von ihrem Mann trennt und sie größtenteils alleine aufzieht, ist Poliana stark von der brasilianischen Familie geprägt, und da vor allem von den Frauen. „Männer spielen in unserer Familie so gut wie keine Rolle.“

„Im Urlaub in Brasilien bin ich immer aufgeblüht. Kam zurück nach den sechs Wochen: neue Frisur, braun gebrannt.“ Über ihre Identität sagt sie:

„Mal fühle ich mich mehr deutsch, mal mehr brasilianisch. Bei Identitäten ist das so: Wir sind fluide, nie im Stillstand. Es gibt Jahre oder Zeiten, da fühle ich mich mehr brasilianisch, in anderen, da fühle ich mich sehr deutsch – was immer das auch heißen soll. Was ist schon deutsch?

Mein Deutschsein ist auch ein Hybrid, geprägt von meinen kurdischen, polnischen, niederländischen, westafrikanischen, lateinamerikanischen Freund:innen. Das ist ja auch nicht Weißwurst und Lederhose.“

„Haare sind politisch“

Was sie in jungen Jahren stark prägt, ist die Auseinandersetzung mit ihren Haaren. Wie fast alle schwarzen Menschen in einem vornehmlich weißen Umfeld, muss sie mit dem Umstand leben, dass andere ihr ungefragt in die Haare fassen.

Als Jugendliche glättet Poliana sich die Haare – was ein schmerzhafter und auch gesundheitsgefährdender Akt ist, wie sie später begreift. „Alles nur um dazuzugehören. Mit 22 hatte ich keinen Bock mehr. Da habe ich gelernt: Haare sind politisch. Ich habe mich politisiert – und befreit.“

Preta – Schwarzsein in Brasilien

Sie beginnt erst eine Ausbildung zur Hotelfachfrau, merkt aber schnell, dass das nichts für sie ist. Sie studiert dann Romanistik und Englisch in Düsseldorf. Als sie den Drang verspürt, einen Dokumentarfilm über Rassismus zu drehen, kauft sie sich eine Spiegelreflexkamera und bringt sich das Filmen selber bei. „Ich habe alles gegoogelt.“ Mittlerweile arbeitet sie bei Zeit Online.

Gerade in der Anfangszeit erlebt sie oft, dass männliche Kollegen sie nicht ernst nehmen. Aber sie setzt sich durch. Für ihren Film „Preta“ befragt sie die Frauen ihrer Familie über das Schwarzsein in Brasilien. Die Protagonistinnen zeichnen ein ganz anderes – sehr düsteres, rassistisches – Bild von Brasilien, fernab vom Feel-Good-Klischee von brasilianischem Samba, Strand und Fußball.

Beim Filmen geht es Poliana immer in erster Linie um den Inhalt. Es ist wichtig, dass auch bei Videos und Filmen nicht nur der weiße Blick vorherrsche, findet sie. „In meiner Arbeit beschäftige ich mich vornehmlich mit den Lebensrealitäten marginalisierter Menschen.“ Das steht auf ihrer Website. „Mein Job ist meine Berufung, ich fühle mich in der Verantwortung. Ich mache die Filme nicht für die weiße Menschen.“


Weitere Themen: Colorism, Trash-TV und wie viel Wörter es in Brasilienfür Schwarze gibt (Spoiler Alert: rund 400).

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