Mogli ist eine Künstlerin mit algerisch-deutschen Wurzeln. Warum sie nach Hanau so zerrissen war, wieso sie sich in Algerien nicht wohl fühlt und weshalb sie so viel Freude empfindet, mutig zu sein.
„Ich durfte genauso sein, wie ich bin“
Mogli heißt eigentlich Selima Taibi – aber niemand nennt sie mehr so. Sie wurde im Januar 1994 in Frankfurt am Main geboren. Ihr Vater kommt aus Algerien, ihre Mutter aus Deutschland. Ihre Eltern trennen sich früh, Mogli bleibt bei ihrer Mutter. Der Vater lebt aber auch in der Stadt. Er gründet eine neue Familie und hat drei Kinder, die „komplett algerisch“ sind, wie Mogli sagt.
Mogli wächst in Frankfurter Bezirk Nordend auf, sehr behütet, in einem künstlerisch-musikalisch, alternativen Setting. „Ich durfte genauso sein, wie ich bin. Ich durfte selbst entscheiden, was total schön war für mich.“ Sie erinnert sich vor allem an Bücher. „In allen Wohnungen waren so viele Bücher.“ Die Stadt ist international, divers – Diskriminierung erlebt sie selbst selten, und wenn, dann aufgrund ihres Namens – aber dafür um so stärker mit ihrem und an ihren Vater.
„Meine Mama ist blond und blauäugig. Das heißt, wenn ich mit meiner Mama unterwegs war, dann war ich schon als Kind white passing. Und mit meinem Papa natürlich nicht. Das ist für ein Kind natürlich eine krasse Erfahrung: zu spüren, ich habe mich überhaupt nicht verändert, aber werde (mit meinem Papa) anders behandelt von Fremden. Das war einfach ein ungutes Gefühl.“
Der Rassismus gegen ihren Vater und seine Familie führt sogar soweit, dass die Familie nach Algerien zieht. „Insofern kann man sagen, dass ich einen Teil meiner Familie wegen Rassismus verloren habe.“ Mittlerweile – Jahre später – wohnt die Familie ihres Vaters wieder in Deutschland.
Identitätsfindung nach Hanau
Die Anschläge in Hanau (was in der Nähe von Frankfurt am Main liegt) haben in Mogli etwas Entscheidendes ausgelöst. Vor allem ein Jahr danach fühlt sie eine innere ungewohnte Zerrissenheit:
„Ich habe da so eine Handlungsunfähigkeit bekommen, die ich gar nicht kannte, weil ich so zerrissen war mit meinen zwei Ichs. Ich hatte das Gefühl, ich habe hier eine Verantwortung, vor allem als White Passing Person des öffentlichen Lebens, darüber zu sprechen und ich muss meine Plattform nutzen, weil es wichtig ist.
Und gleichzeitig wurde der andere Teil in mir, der Diskriminierungserfahrungen gemacht hat, so krass getriggert, zu checken, dass diese ganzen Menschen, die da saßen, aus meinem Umfeld oder aus meiner Familie hätten sein können, dass ich mich gar nicht in der Lage gefühlt habe, mich an dem Tag zu äußern. Und da habe ich zum allerersten Mal gecheckt, dass das hier ein Zugehörigkeitsding ist: Zu was fühle ich mich zugehörig? Da ist für mich alles ins Rollen gekommen.“
Mogli habe sich immer rausgenommen und zu den Weißen gezählt, „weil ich dachte, ich muss“. Aber an dem Tag habe sie festgestellt, dass sie selbst auch betroffen ist – auch wenn sie das Privileg hat, dass man ihr die nichtdeutsche Herkunft nicht (immer) ansieht.
Schwieriges Verhältnis zu Algerien
Zu Algerien hat sie allerdings ein extrem schwieriges Verhältnis. Eigentlich habe sie nach ihrem letzten Besuch beschlossen, nicht mehr hinzufahren. Sie falle als Frau an bestimmten Orten zu sehr auf, zudem sei sie dort nur eine Rolle: nur Tochter und/ oder Schwester. Beides Rollen, die zudem traumatisch behaftet sind für sie. „Immer, wenn ich gehe, habe ich mehr verloren, als ich bekommen habe.“
Es sei mehr ihre Mutter als ihr Vater gewesen, die ihr Algerien nahe gebracht hat. Ihre Mutter spricht sogar fließend arabisch. Auch habe sie ihr erklärt, was Rassismus ist. In dem Kampfkunst-Studio ihrer Mutter fängt Mogli als Zweieinhalbjährige mit Taekwondo an. Sie liebt die Schreie beim Sport, singt im Kinderchor, macht Luftakrobatik und geht zur Musicalschule. Die Mutter habe ihr später alles erlaubt, keinen Einfluss genommen und ihr keine Ratschläge gegeben.
„Ich würde nicht sagen, dass ich keine Ängste gehabt habe, aber ich habe Mut entwickelt.“
Mut ist auch ein Kernthema ihres neuen Albums „Ravage. Gepaart mit einem Film, den sie dazu gemacht hat, möchte sie gerne das Anderssein zelebrieren und zeigen, „wie cool es ist, mutig zu sein“.
Kommentare von Frank Joung