Artikel verfasst von Frank Joung
Diese Episode ist Teil der Serie „Kein Schlussstrich“

Roxanna-Lorraine Witt ist in Minden geborene Sintiza. Die 29-jährige Aktivistin spricht über starke Frauen in ihrer Community und ihre eigene „Überlebens-Wut“, was sich seit ihrer Diagnose Autismus als Erwachsene geändert hat und warum sie gegen Rassismus kämpft, statt Algen zu untersuchen.

Starke Frauen in der Sinti-Community

Roxy represents Minden. Hier ist Roxanna-Lorraine, so ihr voller Name, geboren und aufgewachsen. „In Minden gibt es viele Witts. Jeder weiß, du bist!“ Was sie meint, ist: Zwar geht sie als Weiß durch („White passing“), in Minden jedoch wisse jede*r zumindest dem Namen nach, dass sie zur Gruppe der Sinti gehört.

Roxy wächst in einem Haushalt ohne Vater aber dafür mit starken Frauen auf, weibliche Vorbilder, wie ihre Großmutter, die den Holocaust überlebte. Sie merkt früh, dass ihre Familie „anders“ ist, Trauma, Krieg, Genozid sind Themen, die allgegenwärtig sind. „Aber am meisten hat mich genervt, dass ich arm bin.“ Mit dieser Erkenntnis beginnt auch ihre Politisierung.

„Wenn ich nicht anecke, challenge ich nichts“

Schule fällt ihr leicht. Als sie fünf Jahre alt ist, wird ihr eine Hochbegabung attestiert. Doch sie eckt auch immer wieder an mit ihrer Direktheit. Prägend für sie ist eine Schulsituation, in der sie angeblich zu freizügig für einen Synagogenbesuch angezogen sei (mit zehn oder elf Jahren). Der Lehrer will sie erst gar nicht mitnehmen, fragt dann vor Ort den Rabbi, der sie mit hineinwinkt und anschließend sinngemäß verkündet, dass sich niemand für seinen Körper schämen müsse. „Und ich dachte nur: Danke, was für ein Power Move!“

Anecken ist für Roxy mittlerweile ein notwendiges Mittel, für gesellschaftliche Veränderung zu kämpfen. Das Ziel ist Befreiung und eine andere Gesellschaft.

„Wenn ich nicht anecken würde, würde ich nichts challengen. Ich habe einen deutschen Pass. Mich kann man nicht einfach abschieben, mich muss man aushalten. Mich muss man ertragen.“

Eigentlich will Roxy Wissenschaftlerin werden. Sie fängt an, Marine-Biotechnologie zu studieren, bricht das Studium aber ab, weil sie abgeworben wird. Sie leitet daraufhin für rund ein Jahr das Referat Bildung beim Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma. Auch im Studium erfährt sie Gadje-Rassismus. Kommilitonen schicken ihr anonym Hitler-Bilder. Doch sie wehrt sie erfolgreich dagegen.

Diagnose Autismus als Erwachsene

Inzwischen weiß sie, dass sie sich im Autismus-Spektrum befindet. Die „Diagnose“ kommt erst als Erwachsene, erklärt aber zum Teil ihre kommunikativen Schwierigkeiten.

„Mir wurde immer gesagt, ich soll die Wahrheit sagen, und als ich die Wahrheit gesagt habe, wollte man das nicht. Das habe ich nicht verstanden.“

Trotz aller Widerstände habe sie gelernt, Menschen mit Liebe zu begegnen, sie als Ganzes zu betrachten. Trotzdem appeliert sie mit Nachdruck dafür, dass jede*r die Verantwortung habe, kontinuierlich an sich zu arbeiten, um strukturelle Ungleichheit abzubauen.

„Solange man nicht zuhört, nicht aktiv handelt, führt man das Erbe weiter und macht sich mitschuldig, weil man die Gewalt weiterträgt.“

Roxy auf Instagram: @purrrnerdyness

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Diese Folge ist entstanden in Kooperation mit „Kein Schlussstrich! Ein bundesweites Theaterprojekt zum NSU. Gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes und das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Programms „Demokratie leben!.