Artikel verfasst von Frank Joung

Sondi Binneboese ist zu DDR-Zeiten in einem Dorf in Thüringen aufgewachsen – ihre Tochter Joyce wurde lange nach der Wende in Berlins Westen groß. Die beiden erzählen von ihren Erfahrungen, von Großfamilien und No-Go-Areas, besonderen Momenten und Alltagsrassismus – und: warum Joyces kamerunischer Großvater lieber in seine Heimat zurückkehrt statt in einem deutschen Altersheim zu leben.

Sondi Binneboese hat einen kamerunischen Vater und eine deutsche Mutter. Die 54-Jährige ist in einem kleinen Ort in der Nähe von Jena aufgewachsen. Zum Musikunterricht durfte sie „in die Stadt fahren“. Sie erinnert sich gerne an ihre Kindheit und Jugend in Ostdeutschland, wo sie ein „ganz normales deutsches Leben führte“.

„Viele haben einen falschen Eindruck. Meine Jugend war so leicht und unbedarft. Ich habe nicht ein rassistisches Wort zu hören bekommen, solange ich da gelebt habe. Nicht ein einziges. Niemals.“ (Sondi)

Mit 18 geht Sondi nach (Ost-) Berlin, später stellt sie einen Ausreiseantrag in den Westen, der nach drei Jahren endlich genehmigt wird. Sie reist aus – zu ihrem Vater, der bereits in West-Berlin wohnt. Kurz danach fällt die Mauer. In der Nacht des 9. November 1989, als Tausende Ostberliner durch die geöffneten Grenzen nach West-Berlin strömen, arbeitet Sondi im KDW. Nach Feierabend fährt sie in den Osten der Stadt und klingelt „Oma Almuth und Opa Lutz“ aus dem Schlaf.

Selbe Stadt, andere Welt

Sondis Tochter Joyce hat eine andere Welt kennengelernt. Sie ist in Westberlin geboren und aufgewachsen und kennt die DDR nur aus Erzählungen. Die 26-Jährige war aber ebenso eingebunden in die deutsch-afrikanische Patchwork-Großfamilie, so wie ihre Mutter es schon war. „Ich habe immer gesagt: Ich habe sechs Omas.“

Als Kind wächst sie in einem multikulturellen Umfeld auf und geht in eine fortschrittlich integrative Schule. Bei Sportfecht-Turnieren in anderen Orten des Landes und der Stadt erfährt sie, dass es nicht überall so bunt und tolerant zugeht wie in ihrem Zehlendorfer Kiez. Einmal drückt ein Erwachsener eine brennende Zigarette auf ihrem Oberarm aus, da war sie noch ein Kind. „Das war eindeutig Absicht“, sagt sie. Auch heute noch gibt es für Joyce gewisse No-Go-Areas oder Orte, die sie lieber meidet.

Nach dem Abi übernimmt sie mit einer Freundin die Mode-Boutique „Wald Berlin“, für die sie auch eigene Kollektionen entwirft. Dazu arbeitet sie als Co-Captain der Adidas Runners. Der Terminkalender ist immer voll. „Ich kann mich nur schwer bremsen“, sagt Joyce. Dazu passt auch, dass sie leidenschaftlich gerne Marathon läuft. Auf dem Plan für dieses Jahr stehen: Berlin, Frankfurt und Sierra Leone.

Die erste Reise nach Kamerun

Im Oktober dieses Jahres erfüllen sich Joyce und Sondi einen langgehegten Traum: Sie reisen gemeinsam nach Kamerun – für beide wird es das erste Mal sein. „Das fühlt sich jetzt genau richtig an, dass ich das mit meiner Mama und meiner Tante zusammen mache“, sagt Joyce.

Sie besuchen Sondis Vater, den es mit 82 Jahren wieder in seine afrikanische Heimat zieht. „Er fühlt sich nicht mehr wohl hier so allein in Berlin. Er möchte nach Hause“, sagt Sondi. Was auch daran liegt, dass er im Altersheim lebt und sich nicht mehr so integriert fühlt – zumal er dort der einzige „Ausländer“ sei, berichten beide. Das Essen in der Pflege-Einrichtung ist anscheinend auch kein Grund, in Deutschland zu bleiben.

„Ich sag mal so: Ein Hühnerfrikassee im Altersheim reißt meinen (kamerunischen) Opa nicht gerade vom Hocker“ (Joyce)

Weitere Themen: Marathon, Schwarz oder Farbig?, „Mischie“-Treffen etc.