Jamal Ali stammt aus Aserbaidschan. 2012 musste er das Land aus politischen Gründen verlassen. Nach einem Musikauftritt im Vorfeld des Eurovision Song Contest nahm ihn die Polizei fest. Der 30-Jährige lebt heute in Berlin. Ein Gespräch über seine Heimat „Absurdistan“, Freiheitsgefühle und das mächtigste Wort in der deutschen Sprache: „Doch!“ Plus: Jamal Ali spielt zwei Lieder live.
„Ich wollte immer weg von Zuhause“
Jamal war schon immer ein Rebell, sagt er. „Ich wollte immer weg von Zuhause.“ Als Jugendlicher treibt es ihn raus in die Straßen von Baku, der Hauptstadt von Aserbaidschan. Zwischen den Pflichtterminen von Schule, Sport und Musikschule reizt ihn die nächtliche Freiheit. Doch Baku ist anstrengend: Jamal ist in vielen Schlägereien verwickelt. Manchmal battlet er sich aber auch in Freestyle-Sessions mit anderen. Er hört Tupac, Eminem & Snoop Dogg. Westcoast goes Baku.
Mit 18 geht er in die Türkei zum Studieren. Erst studiert er vier Jahre Umwelttechnik in Ankara, dann zwei Jahre Tontechnik in Istanbul. Als er nach Aserbaidschan zurückkehrt, hat sich das Land verändert – und Jamal auch. „Ich war zuviel für hier“, sagt er.
Flucht nach Musikauftritt
Im Vorfeld des Eurovision Song Contest spielt er einen Protestsong – und beleidigt danach den Präsidenten öffentlich. Die Polizei zerrt ihn von der Veranstaltung. Jamal sitzt zehn Tage im Gefängnis – offiziell wegen Hooliganismus. Danach muss er das Land verlassen. Berlin wird seine neue Heimat.
„Ich hatte immer das Gefühl, dass ich nach Berlin gehöre. Jetzt kann ich endlich ich selbst sein. Freiheit gibt dir die Chance, du selbst zu sein. Nur dann kannst du verstehen, wer du eigentlich bist und was du machst“
Jamal Ali ist euphorisch. In Berlin lernt er eine andere Freiheit kennen – aber leider auch deutsches Donnerwetter, Blitzrekorde im Sommer und Minustemperaturen im Winter. „Die Natur ist laut hier“, sagt er lachend.
Er will bleiben. Aserbaidschan vermisst er nicht, seine Freunde sind mittlerweile verstreut in der ganzen Welt. Nur die Familie bekommt ab und zu noch die negativen Konsequenzen zu spüren, wenn Jamal ein regimekritisches Lied ins Internet stellt. Wie Anfang dieses Jahres, als die Polizei bei seiner Mutter auftaucht und ihn nötigt, sein eigenes Musikvideo von seiner YouTube-Seite zu sperren.
Nicht gegen etwas sein, für etwas stehen
In Berlin hat der 30-Jährige derzeit eine Stelle als „Integrationsvolontär“ beim offenen Kanal „ALEX Berlin“ erhalten. Dort kann er mit Medienprojekten auf die Missstände in seinem Land aufmerksam machen. Er möchte nicht nur gegen etwas sein, sondern lieber für etwas stehen. Auf dem Weg zur Halben Katoffl hat er einiges gelernt in Deutschland: Pünktlichkeit, den Hang zur Detailversessenheit – und das stärkste Wort in der deutschen Sprache.
„Ich dachte immer, dass ‚Nein“ das mächtigste Wort auf Deutsch ist – doch dann kam immer „DOCH!“
Am Ende des Gesprächs spielt Jamal Ali seinen zweiten Song: „Vermişel“. Englische Untertitel gibt es in diesem Video (unten rechts aktivieren).
Kommentare von Frank Joung