Artikel verfasst von Frank Joung

Armut, Zwangsheirat, Abschiebung, Coming Out – Aktivist Gianni Jovanovic hat viel durchmachen müssen. Wie der 43-jährige Rom die Fremdbestimmung ablegte, den Bruch mit der Familie kittete und wieso öffentliche Auftritte Heilung für ihn bedeuten.

„Das erste, was du lernst, ist, nicht zu sagen, dass du Rom oder Sinto bist“, sagt Gianni Jovanovic. „Sinti und Roma“ stehen ganz unten auf der Hierarchie. An seine Kindheit vor der Schule erinnert er sich so:

„Das sind keine schöne Erinnerungen, das sind böse, traumatische Erinnerungen, die einhergehen mit Rechtsradikalismus, Terrorismus, progromähnlichen Anschläge auf unser Haus, dem Abriss des Hauses meines Großonkels mitsamt seiner Kupferwerkstatt. Viel Hass von den Nachbarn, viel Geschrei. Tränen, Blut, Betteln, Baracken, Dreck – Verhältnisse, die man in anderen Ländern verortet, aber nicht in Deutschland, nicht in Darmstadt in den 1980ern.“

Aber, so sagt Gianni, auf der anderen Seite habe er viel Liebe, viel Empowerment von seinen Eltern und seiner Familie empfangen. Gianni ist Einzelkind, seine Eltern waren aus dem ehemaligen Jugoslawien geflohen, er ist 1978 in Rüsselsheim geboren.

Zu Unrecht abgeschoben, aktiv diskriminiert

Die Familie lebt in einer Barackensiedlung – bis sie zuerst abgeschoben – und dann wieder von der Stadt Darmstadt zurückgeholt werden, weil die Abschiebung nicht rechtens war. Als sie wieder in Deutschland leben dürfen, diesmal in Nürnberg, wird Gianni eingeschult – aber nicht in eine „normale Grundschule“, sondern direkt auf die Sonderschule. Das sei kein Zufall, sondern so gewollt.

„Die Ressource Bildung wird uns genommen“, sagt Gianni. Es gebe keinen fairen Zugang an einem akademischen Bildungsweg. Die Gruppe der Sinti und Roma werde bewusst klein gehalten, diskriminiert und ausgeschlossen.

Auch auf der Schule erlebt Gianni viel Ausgrenzung und Mobbing von der allerschlimmsten Sorte, aber er ist ein guter, engagierter Schüler, der sich zu wehren weiß. „Ich war ein sehr selbstbewusstes Kind, ich hatte eine gute Rhetorik – und ich hatte Kraft!“

Humor gegen Trauma

Rückblickend kann er sagen, dass ihm der Humor geholfen habe, mit diesen traumatischen Dinge umzugehen. „Ich war immer humorvoll und sehr redegewandt, in meiner Familie, aber auch in meiner Klasse haben sie mir immer zugehört. Ich war Klassen- und Schulsprecher – und ich habe eine krass lustige Familie!“

„Wenn du viel Leid und Schmerz in deinem Leben erlebt hast, hast du nur zwei Optionen. Entweder, du nimmst diesen Schmerz und wirst böse, oder du machst Licht, machst Energie und Menschlichkeit daraus. Und ich habe mich für diesen Weg entschieden.“

Aber auch mit der eigenen Familie überwirft er sich. Gianni musste mit 14 heiraten – das war so üblich in seiner Familie (nicht generell für Roma). Eine Überlebensstrategie. Mit 16 wurde er zum ersten Mal Vater, ein Jahr später zum zweiten Mal. Ein paar Jahre später küsst er zum ersten Mal einen Mann. Danach führt er ein Doppelleben. „Katastrophe! Depressionen, Übergewicht, zu viel Zigaretten geraucht“, sagt er heute über die Jahre.

„Ich wollte mich erst outen, wenn meine Kinder volljährig sind, weil ich Angst hatte, dass man sie mir wegnimmt, dass mich meine Familie ausgrenzt, meine Frau enttäuscht ist und ich die Ehre der Familie beschmutze.“

Bruch nach Coming Out

Aber Gianni hält es nicht durch, zu groß ist der Wunsch, offen schwul und mit seinem Partner zusammen sein zu dürfen. Was folgt, ist das, was Gianni befürchtet hatte: „Der völlige Bruch mit der gesamten Familie – außer meinen beiden Kids.“

Heute – Jahre später – haben sich die familiären Beziehungen wieder verbessert, Gianni ist Großvater und beruflich aktivistisch und als Comedian unterwegs. Er steht auf der Bühne, und erzählt seine Story.

„Wenn ich das Lachen, das Weinen, den Applaus bekomme, dann bekomme ich, das, was mir vielleicht aus der Mehrheit gefehlt hat, und das ist eine Form von Liebe.“

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