Artikel verfasst von Frank Joung

Burak Yilmaz ist selbstständiger Pädagoge und Autor des Buches „Ehrensache: Kämpfen gegen Judenhass“. Der 37-jährige Duisburger mit kurdisch-türkischen Wurzeln erzählt im Podcast vom Innenhof-Hopping im Dichterviertel, warum er eine Pittbull-Einstellung auf dem katholischen Privatgymnasium an den Tag legte und weshalb er zu schreiben begann. Mit Frank redet er über Radikalisierung, Verharmlosung und Pauschalisierung, über exportierten Terror und „importierten Antisemitismus“ – und was passierte, als er mit muslimischen Jugendlichen nach Auschwitz fuhr.

Der schönste Ort der Welt

Burak wird im November 1987 in Duisburg geboren. Seine Mutter ist Kurdin, sein Vater kommt aus der Türkei. Er wächst im Dichterviertel im Duisburger Norden auf. Obermarxloh ist für viele ein Brennpunkt, eine „No-Go-Area“. „Für mich ist es der schönste Ort der Welt“, sagt Burak.

An seine Kindheit hat er sehr schöne Erinnerungen. Wie er mit anderen Kids von Innenhof zu Innenhof gelaufen ist, er erinnert sich an große Essenstafeln mit anderen Familien – aber auf der anderen Seite war da auch eine sehr patriarchalische Brutalität. Es sei oft sehr schnell eskaliert unter den Jungs. „Man durfte keine Emotionen zeigen, keine Schwäche.“

Alman-Modus auf dem Gymnasium

Als Burak auf die erweiterte Schule geht, ändert sich sein Leben. Er besucht ein katholisches Privatgymnasium außerhalb des Stadtteils.“ Wenn ich über die Brücke gegangen bin, habe ich mich in den Alman-Modus transformiert.“ Schnell bekommt er als einer der ganz wenigen Muslime nicht nur die Vorbehalte zu spüren, sondern fühlt auch ein permanentes Gefühl der Überforderung. Die Bildungssprache, aber auch die komplett konträre Lebenswelt seiner Mitschüler*innen machen ihm zu schaffen. Er kennt beide Welten, aber sein Umfeld kennt jeweils nur eins.

„Niemand hat mich verstanden. Ich hatte niemandem zum Reden. Das war so ein harter Satz, als jemand zu mir meinte: ‚Du veränderst dich!‘ Dass ich irgendwann nicht mehr wusste: Wer bin ich überhaupt noch? Wenn ich auf dem Gymnasium niemand bin und hier (im Stadtteil) niemand werde, wer bin ich überhaupt noch?“

Burak entdeckt das Schreiben. Es hilft ihm, seine Trauer zu verarbeiten. „Das war ein Anker!“ Lange ist die Identitätsfrage ungeklärt, der Wunsch, unpolitisch zu sein, ist groß. Doch nach dem 11. September 2001 ändert sich das schnell. Burak muss plötzlich erklären, was „seine Glaubensbrüder“ da angestellt haben. Er spürt die immer größer werdende Vorverurteilung, die Kategorisierung und den offenen Rassismus gegen Muslime. Burak driftet ab. Er schaut antiwestliche Videos von Terrororganisationen, die ihn und seine Freunde voll abholen. „Ich dachte: Wenn die uns nur als Ausländer sehen – dann lass denen mal richtig Ausländer geben. Lass denen Terror geben.“

Niemand sieht die Trauer und den Schmerz

Seine Eltern fangen ihn wieder ein. Diskutieren mit ihm am Esstisch, beantworten soziale und gesellschaftliche Fragen ihres Sohnes. Heute fragt sich Burak, warum niemand der Mehrheitsgesellschaft seine Radikalisierung bemerkt hat. Warum ihn nie jemand angesprochen hat.

„Ich hätte mir gewünscht, dass jemand zu mir gekommen wäre und gesagt hätte: ‚Burak, ich verstehe deine Wut. Ich sehe deine Trauer, deine Frustration – das ist alles legitim.‘ Aber das ist nicht passiert.“

Burak will Lehrer werden, bzw. eigentlich will er Schauspieler oder Regisseur werden, aber das hätten ihm seine Eltern ausgeredet, sagt er. Wirtschaftlich zu unsicher. Er fängt an, neben dem Studium im lokalen Jugendzentrum zu arbeiten. Dort ist er tagtäglich konfrontiert mit den Erfahrungen und den Emotionen der Jugendlichen im Stadtteil. Er spürt den unguten Mix aus erfahrenem Rassismus, dem Hang zu radikalen Meinungen und den Einfluss islamistischer Propaganda.

Mit Muslimen nach Auschwitz

„Jeder Jugendliche, der sich radikalisiert, ob rechtsextrem oder islamistisch, ist einer zu viel. Wir müssen alles dafür tun, dass das nicht passiert. Gleichzeitig müssen wir Strukturen für Jugendliche schaffen, um mit anderen in Kontakt zu kommen, um sich auszutauschen, um Begegnungen zu schaffen. Das ist das, was ein junger Mensch braucht. Er braucht andere Horizonte.

Burak initiiert Theaterprojekte, macht Biografiearbeit – und fährt mit muslimischen Jugendlichen nach Auschwitz. Der erste Besuch und die emotionalen Begegnungen dort prägen ihn und seine Arbeit maßgeblich. Er macht sich als Pädagoge selbstständig und wohnt noch heute im Duisburger Norden.

Buch: „Ehrensache: Kämpfen gegen Judenhass“

Podcast: Brennpunkt