Samy Deluxe hat deutsch-sudanesische Wurzeln. Der 42-jährige Rapper spricht über vertrackte Familiensituationen, nagende Schuldgefühle, Safe Spaces – und wie Büroarbeit beim Freestylen helfen kann.
Dass Samy Deluxe aus Hamburg kommt, wissen die meisten Deutschen. Sehr oft hat der Rapper aus dem Stadtteil Eppendorf seine Liebe zu der Hansestadt in Liedern ausgedrückt. Dass Samy aber neben den deutschen auch sudanesische Wurzeln hat, wissen viele hingegen nicht. Der Name „Samy“ leitet sich demnach nicht vom US-amerikanischen Namen Sammy ab, sondern kommt aus dem Arabischen.
Brauner Junge in weißer Familie
Samy Sorge wird im Dezember 1977 in Hamburg geboren. Sein sudanesischer Vater und seine deutsche Mutter hatten sich im Sudan kennengelernt und waren dann gemeinsam nach Deutschland gegangen. Aber sein Vater schafft es nicht, sich in Deutschland einzugliedern, sagt Samy. Er verlässt die Familie, als Samy noch ein Kleinkind ist. Seine Mutter findet einen neuen Partner, bekommt noch ein Kind, seine Schwester.
„Ich war der braune Junge in einer komplett weißen Familie. Wenn wir gemeinsam unterwegs waren, hatte ich schon das Gefühl, dass die Leute denken, dass ich adoptiert bin.“
Samy wächst in einem sehr weißen Umfeld auf. Männliche Mentoren fehlen, zum Stiefvater baut er keine emotionale Bindung auf, zum biologischen Vater hat er keinen Kontakt. Als er fünf oder sechs Jahre alt ist, erinnert sich Samy, taucht der leibliche Vater plötzlich auf. Von der Begegnung hat Samy nur behalten, dass er gebrauchte Matchbox-Autos in einer Plastiktüte als Geschenk mitbringt – was er ihm übel nimmt.
Hip Hop ist Einstieg ins Nerdtum
In der Schule macht Samy vor allem negative Erfahrungen. Er braucht 13 Jahre für 11 Schuljahre, wechselt sieben Mal die Schule. „Ich hatte super früh Misstrauen allen Autoritätspersonen gegenüber.“ Als er mit 14 einige Monate bei Verwandten in England verbringt, entdeckt er seine Liebe zur Musik, vor allem zu Hip Hop. „Die paar Monate da haben alles transformiert.“
Hip Hop wird für ihn zum Lebensinhalt. „Das war mein krasser Einstieg ins Nerdtum. Da habe ich gemerkt, dass Nerdiness was Cooles ist. Von 1995 bis 1999 war einfach komplett Leidenschaft. Ich musste mir nie Gedanken machen. Ich hatte den Beruf, bevor ich ihn gewählt hatte.“
Sein Aufstieg ist rasant. Als er 2001 sein erstes Album herausbringt, wird im selben Jahr auch sein Sohn geboren. Die ersten Jahre verfliegen wie im Rausch, Samy legt musikalisch eine steile Karriere hin, aber privat bröckelt das Familienglück.
„Vater im Himmel“
Das Paar trennt sich, seine Partnerin zieht mit dem Sohn nach Portland, in die USA. Jetzt ist er selbst ein Vater, der nicht da sein kann für seinen Sohn. „Das hat schon an mir genagt, tut es bis heute.“ Anfänglich hat er die große Sorge, dass sein Sohn über ihn so denken könnte wie er über seinen Vater. Heute hat er mit dem 19-Jährigen eine enge Beziehung – auch als Musikerkollege. „Er ist als Sänger und Rapper super krass, super deep und hat eine Seele, die viel zu alt ist für seinen Körper.“
Seinen eigenen Vater hatte Samy zuletzt mit 17 im Sudan getroffen. Die Oma bezahlte die Reise, und das obwohl sie schon nicht gut geheißen hatte, dass die Mutter einen schwarzen Mann geheiratet hatte.
„Meine Oma war aus dieser Generation, die eigentlich straight racist war. Aber sie hat mich geliebt und obwohl ich der ‚Braune‘ war, war ich Omas Lieblingsenkel. Sie hat mir erzählt, dass sie früher meine Haare glatt gestreichelt hat, damit sie nicht so kraus werden.“
Die Begegnung mit dem Vater verläuft enttäuschend. Zu dem Land und den Verwandten baut Samy eine Beziehung auf, aber zu seinem Vater entwickelt sich keine enge emotionale Bindung. „Der hat nix Schlaues gesagt.“ Die Begegnung lässt Samy verbittert zurück, weil sich sein Vater auch danach nicht mehr meldet. Nach der Reise hat er ihn nie wieder gesprochen.
Samy widmet ihm 2009 erst den Song „Vatertag“, in dem er rappt: „Wenn es nach mir geht könnte mein Vater zur Hölle fahren“; und dann – nach dem Tod seines Vaters – das Lied „Vater im Himmel“, in dem er sich für den ersten Song entschuldigt.
Black Lives Matter
Das politische und soziale Geschehen wird Samy im Laufe seiner Karriere immer wichtiger. Von sich selbst sagt er: „Bis 2008 gab es keinen echten Reflektionsmoment.“ Doch danach engagiert er sich mehr und mehr. 2013 gründet er den Verein DeluxeKidz, in dem er Kindern die Möglichkeit bietet, sich in den Hip-Hop-Disziplinen auszutoben. „Diesen Bildungsauftrag habe ich einfach in mir.“ Gemäß dem Motto „Each one Teach one“ versucht er, Zugänge zu schaffen und andere zu empowern. „Ich habe sehr viel Lust, Plattformen zu schaffen für Denkanstöße und für schlaue Leute zum Reden.“ Daher wird Samy auch in Kürze mit seinem eigenen Podcast herauskommen.
Auch die Black-Lives-Matter-Bewegung ist ihm wichtig – schon auch aus familiären Gründen. Sein mittlerweile erwachsener Sohn wächst in den USA auf, in einem Land voller Gegensätze. Wo sein Sohn auf ein traditionell schwarzes College, Howard University, geht, wo er fortschrittlicher nicht ausgebildet werden kann und gleichzeitig auf der Straße „nur ein schwarzer Mann“ ist, dem eine größere Gefahr droht, von der Polizei benachteiligt behandelt oder gar erschossen zu werden.
„Eigentlich will ich nicht, dass er in diesem Land lebt, aber dann doch, weil er da auf diese Uni gehen kann. In Deutschland hingegen hast du viel weniger Chancen erschossen zu werden, aber auch viel weniger Möglichkeiten einen Ort zu finden, an dem du eine gesunde schwarze Identität aufbauen kannst.“
Weitere Themen: Peinliche Unterschrift, Bühnen-Scan, Konzernkritik, wie Büroarbeit beim Freestylen helfen kann und warum Bauchgefühl-Perfektionismus zum Erfolg führt.
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Kommentare von Frank Joung