Patrice Poutrus ist Zeithistoriker, Migrationsforscher, Autor und (Ost-) Berliner – der 61-Jährige hat einen sudanesischen Vater, einen irakischen Namensgeber und eine deutsche Mutter. Mit Frank sprach er über seine anfängliche Affinität zum Militär und was er in einem libanesischen Imbiss in Kreuzberg nach der Wende erlebte.
Unbeantwortete Fragen
Dr. Patrice Ghandi Poutrus wurde im April 1961 in Berlin geboren. Noch ist die Stadt nicht geteilt, die Mauer wird erst einige Monate später errichtet. Patrice kennt seinen leiblichen sudanesischen Vater nicht, sein Namensgeber und „Ersatzvater“ ist irakischer Kurde. Sein Aussehen, seine Hautfarbe, der Name – das alles wirft ständig Fragen auf. Fragen, die Patrice nicht beantworten kann.
„Ständig gab es Botschaften, die ich nicht verstand und die Aufforderung, mal was ganz anderes zu erzählen. Wo ich herkam, war lange unbeantwortet, weil ich meinen Vater nicht kannte – und mein Namensvater nicht mit uns zusammenleben durfte.“
Patrice lebt ein sehr angepasstes Leben. Sein Ziel ist es, NVA-Offizier zu werden. „Als junger Kerl hatte ich eine starke Affinität zum Militär. Ich wollte Held sein, Feldherr sein.“ Drei Jahre dient er in der Armee. „Drei Jahre Lebenszeit verschenkt“, sagt er heute rückblickend. Es sei ein Versuch gewesen, anerkannt zu sein.
„Ich war mit dem Problem allein“
Rassismus erlebt Patrice schon in jungen Jahren – auch wenn er ihn nicht benennen und auch mit niemandem darüber sprechen kann. „Ich war mit dem Problem allein.“
Die Nacht des Mauerfalls erlebt er zu Hause am Fernseher, während er seine Kinder hütet. Kreuzberg wird für ihn zu einer Art Zufluchtsort. Hier wird er nicht so beäugt und nicht so rassistisch angegangen wie im Osten der Stadt. Es folgen die so genannten „Baseballschlägerjahre“, Jahre, in denen auch sein Leben scheinbar zerfällt. „Es war eine ausgemachte Lebenskrise“, sagt Patrice über diese Zeit.
„Wieder gab es kein Anerkennen“
Glücklicherweise erhält er eine Promotionsstelle in Potsdam. „Ich dachte, ich könne die DDR besser erklären, weil ich aus der DDR komme – das war ein Trugschluss. Es gab viele Dinge, die ich nicht wusste.“ Die wissenschaftliche, theoretische und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der DDR führt zu einer Beschäftigung mit sich selbst.
Rassismus in etwa, so war man sich auf beiden Seiten einig, habe es in der DDR nicht gegeben, erzählt Patrice. „Wieder gab es kein Anerkennen. Ich habe mich gefragt: Wie könnt ihr da so sicher sein?“
„Es ist viel Zeit vergangen. Ich kann nicht sagen, dass es ist wie damals, aber ich kann auch nicht sagen, dass es besser ist. Ich kann nur sagen, dass ich es überlebt habe, und das ist was anderes.“
Weitere Themen: Warum antirassistischer Kampf anstrengend ist, der Moment, in dem er erfuhr, dass sein Vater nicht sein Vater ist, warum ein Journalist mit ihm nach Hoyerswerde wollte und wie er mit der B-Seite einer Beatles-Platte seinen Vater exotisierte.
Diese Folge ist entstanden in Kooperation mit „Kein Schlussstrich! Ein bundesweites Theaterprojekt zum NSU. Gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes und das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Programms „Demokratie leben!„.
Kommentare von Frank Joung