Katharina Warda wurde in Wernigerode im Harz geboren und hat südafrikanisch-deutsche Wurzeln. Die 37-jährige Soziologin und Autorin spricht mit Frank über das schwierige Aufwachsen in der Wendezeit, wie Punkrock sie am Leben hielt und was sie so nervt an den ewig gleichen Ostnarrativen.
Als Katharina 1985 geboren wurde, war ihr Geburtsort Wernigerode noch Teil der DDR. Ihre Mutter wurde dort ebenfalls geboren, ihren Vater – einen Südafrikaner – hat sie nie kennengelernt. Die Beziehung sei damals „nicht gerne gesehen“ gewesen, der Druck von Außen war wahrscheinlich zu viel, die Eltern trennten sich. „Die Spur nach meinem Vater endet im Harz“, sagt Katharina.
Anarchie nach Wende-Euphorie
Als Schwarzes Kind einer weißen Mutter fällt sie in Wernigerode auf. An ihr „Anderssein“ wird sie ständig erinnert.
„Ich wurde da permanent daran erinnert, so dass ich es nicht vergessen konnte, aber ich habe nie annehmen können, dass ich anders bin, weil ich mich nicht anders gefühlt habe. Aber ich habe mich fremd und verloren gefühlt, weil ich zur Fremden gemacht wurde. Ich habe mich wie ein Alien in der so genannten realen Welt gefühlt.“
An die Kindergartenzeit dagegen hat Katharina noch sehr gute Erinnerungen, die Schulzeit dagegen – nach der Wiedervereinigung – sei schrecklich gewesen. Nach der kurzen Wende-Euphorie folgten chaotische Zustände. „Es war Anarchie, aber nicht im besten Sinne.“ Menschen ziehen weg, Häuser stehen leer, Wartburgs und Trabis stehen verlassen auf der Straße. Katharinas Eltern und Großeltern werden arbeitslos. Rechte Gewalt zieht ein. Katharina wird mit Steinen beworfen, andere werden mit Benzin übergossen und angezündet.
„Ich übertreibe nicht, wenn ich sage: Für mich war das Aufwachsen die Hölle!“
„Punkrock hat mich am Leben gehalten“
Mit 12 Jahren ungefähr entdeckt sie Punkrock. Sie findet sich in der aggressiven Musik wieder, identifiziert sich mit der Ideologie („No Future!“) und dem Look. Sie färbt sich die Haare, trägt Punk-Klamotten – was sie noch mehr zur potenziellen Zielscheibe von Nazis macht. Ihre Haltung dazu ist: „Es kann eh jeden Tag passieren (dass man verprügelt wird), daher war es scheiß egal!“
„Jenseits von Wahnsinn und Überleben bestand mein Alltag zum großen Teil aus Langeweile. Ich glaube schon, dass Punkrock – ich sage ja immer, dass Punkrock meine erste große Liebe war –, mich am Leben gehalten hat und mir die Kraft gegeben hat, um vorwärts zu gehen.“
Als sie Gleichgesinnte – andere Punks – trifft, mit denen sie abhängen kann, findet sie eine Gemeinschaft, in der sie anerkannt wird. „Ich wurde da als Punk akzeptiert und das war alles, was zählte.“
„Ich war ja gar nicht allein!“
Dass sie Abitur macht, hat sie unter anderem dem Umstand zu verdanken, dass sie auf gar keinen Fall auf die andere „Plattenbau-Schule“, die Haupt- und Realschule, gehen wollte. „Das hätte ich nicht überlebt“, sagt sie.
Nach dem Schualbschluss studiert sie Soziologie in Jena – ein großer Wunsch von ihr. „Ich wollte immer Soziologie studieren, um verstehen, was um mich herum alles passiert ist. Ich bin aufgeblüht wie eine Blume.“
Das Studium dient ihr auch zunächst, ihre Vergangenheit zu vergessen und sozial aufzusteigen. „Ich wollte alles hinter mir lassen und Ruhe finden in einer ganz anderen Welt.“ Doch ausgerechnet bei ihrem Aufenthalt an der Elite-Uni Princeton in den USA, spürt sie, dass sie sich doch ihren Themen widmen sollte. Für ihr Projekt „Dunkeldeutschland“ geht sie unter anderem zurück nach Wernigerode und spricht mit alten Weggefährt*innen.
„Es war total heilsam, mit anderen Ostdeutschen of Color oder Ostdeutschen mit Migrationsgeschichte zu sprechen und mich wiederzufinden in deren Geschichten und so gewissermaßen das erste Mal anzukommen. Es tut zwar weh, diese Geschichten zu hören und meine eigenen Wunden aufzureißen – sehr sogar, aber ich habe mich so verstanden und gesehen gefühlt wie noch nie und habe gemerkt: Ich war ja gar nicht allein.“
Weitere Themen: Schnee-Privileg, Werbelügen, Plattenbau-Slang und steoretype Ostnarrative.
Diese Folge ist entstanden in Kooperation mit „Kein Schlussstrich! Ein bundesweites Theaterprojekt zum NSU. Gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes und das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Programms „Demokratie leben!„.
Kommentare von Frank Joung