Artikel verfasst von Frank Joung

Iskandar Widjaja ist professioneller Violinist. Der gebürtige Berliner mit indonesischen Wurzeln spricht mit Frank über sein Schlüsselerlebnis als Geiger, asiatische Klischees in der Klassik und wie er gegen seine Eltern, die keine Tiger Parents waren, rebellierte.

Einzel-, aber kein Wunderkind

Zunächst ist alles so, wie man es sich auch klischeehaft vorstellt. Iskandar fängt mit drei Jahren an, Geige zu spielen. Im Grundschulalter fährt er bereits auf internationale Konzertreisen. Mit elf Jahren besteht er die Aufnahmeprüfung zur renommierten Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ in Berlin.

Sein Alltag besteht aus Schule, üben, essen, schlafen. Enge Freunde hat er nicht. Hobbys Fehlanzeige.

Und trotzdem passe der Titel „Wunderkind“ nicht, sagt Iskandar. Er sei nicht von Beginn immer der Beste gewesen und habe sich alles hart erarbeiten müssen. Seine Eltern kamen zwar aus einem künstlerischen Umfeld, sie hätten ihn aber nicht gedrillt und seien überhaupt keine „Tiger Parents“ gewesen.

„Im Gegenteil. Meine Eltern haben mich nicht gepusht, sondern eher ausgebremst. Ich wollte unbedingt auf diese Schule. Für mich war immer klar, dass ich das machen will, was ich am besten kann.“

Ein abgeschottetes Leben

Aber Iskandars persönlicher Drive war anscheinend schon früh sehr ausgeprägt. Er lebt stark von seiner eigenen Motivation, professioneller Musiker zu werden. Sein Schlüsselerlebnis ist sein erster, kurzer Soloauftritt in einem italienischen Dorf. Da war er gerade mal sieben Jahre alt. Danach schüttelte ihm der Bürgermeister die Hand. „Es war so geil, so viel Anerkennung zu bekommen und zu merken, wie es flowt auf der Bühne.“

Durch sein abgeschottetes Leben zwischen Üben und Schule habe sein asiatisches Aussehen und seine Herkunft kaum eine Rolle gespielt. Zumal ihn die Leute sowieso nicht korrekt einordnen können: Manche halten ihn sogar für einen „Indianer“.

Zu Hause sprechen seine Eltern Deutsch mit ihm, da beide Elternteile bereits in ihren Teenagerjahren nach Deutschland gekommen waren und perfekt Deutsch sprechen.

„Meine Mutter hat gesagt, auf Deutsch könne sie mir besser ihre Zuneigung zeigen“, sagt Iskandar.

Und doch hatte er einen direkten Bezug zu dem Heimatland seiner Eltern. Er wächst mit indonesischem Essen auf, die Familie fährt mehrmals im Jahr nach Indonesien, auch ein gewisser spiritueller Ansatz wird vor allem von der Mutter an ihn weitergegeben. Manchmal muss Iskandar stundenlang meditieren – wogegen er später rebelliert.

Auf die Frage nach seinem Zuhause, antwortet er – wie soll es anders sein – mit Musik.

„Beide Welten haben Anteile, mit denen ich mich identifzieren kann und in denen ich mich zu Hause fühle. Aber mit der Musik habe ich mir ein Zuhause geschaffen, das ich überall mit hinnehmen kann. Mein wirkliches Zuhause ist vielleicht die Musik von Bach.“

Gefühl vs. Stilfrage

Da ist es fast nur passend, dass sich der 33-Jährige mittlerweile eine doppelte Solo-Karriere aufgebaut hat. Während er in Deutschland in der klassischen Musik beheimatet ist, wird er in Indonesien eher für Show-Events – Fernsehen, Werbung – gebucht. Gerade auch weil es in dem asiatischen Land keine Klassik-Tradition, aber damit auch keine Klischees oder Dogmen um Stile gebe.

Auch die Zuhörerschaft unterscheidet sich vom deutschen Publikum. In Indonesien gehe es nicht um die „richtige“ oder „falsche“ Spielweise von Stücken, sondern eher um das Gefühl, das beim Geigen rüberkommt.

„Indonesien hat mich extrem entspannt, weil ich erlebt habe, dass die Leute berührt werden wollen.“

Iskandar ist es meist egal, in welchem Setting – klassisch oder im Showbusiness – er auftritt. Hauptsache er kann Violine spielen. Wenn er nicht zwei, drei Stunden am Tag mit der Geige habe, dann gehe es ihm nicht gut. „Musik ist für mich Lebenssinn.“ Und wichtig für ihn sei auch, dass er solo auftritt.

„Meine Art zu spielen passt nicht in ein Orchester.“

Weitere Themen: Asiatische Klischees in der Klassik, Rebellion gegen Nicht-Tiger-Eltern, Loch nach dem Studium

Iskandar auf Instagram: @iskandar.widjaja

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