Hartmut El Kurdi, Jahrgang 1964, ist in Amman geboren. In jungen Jahren zog der heutige Schriftsteller von Jordanien nach London und dann nach Kassel. Ein Gespräch über Sehnsuchtsorte, Identität über Bande und arabisch kochen mit der deutschen Mutter.
Wenn Hartmut El Kurdi erzählt, wo er „eigentlich herkommt“, muss er etwas ausholen. „Also, mein Vater ist Jordanier – aber kein Araber, sondern halber Kurde, halber Tscherkesse. Aber der erste Migrant in meiner Familie war meine Mutter.“ Und die kommt aus Oberhessen. Sie war nach dem Zweiten Weltkrieg als Wirtschaftsflüchtling nach England geflohen und hat danach 14 Jahre lang in Jordanien gelebt.
Erinnerungsflashs und Tragödie
Als Hartmut ein halbes Jahr alt ist, zieht die fünfköpfige Familie – Hartmut hat noch eine ältere Schwester und einen älteren Bruder – nach London. Dort verlebt er seine ersten Lebensjahre – eine Zeit, die ihn bis heute geprägt hat.
„Für mich war immer England der Sehnsuchtsort.“
Er wächst zweisprachig auf: englisch und deutsch. An England hat er vor allem viele Geruchserinnerungen: „Wenn ich eine frisch geteerte Straße rieche, kriege ich sofort einen Erinnerungsflash.“
Mit fünf Jahren zieht er mit seiner Mutter für eine kurze Zeit zurück nach Jordanien – die Eltern hatten sich getrennt. Seine deutlich älteren Geschwister bleiben indes beim Vater in England. „Für meine Mutter Tragödie ihres Lebens.“
Ausländer im Heimatland
Aus dieser kurzen Phase seines Lebens stammen auch die meisten Erinnerungen an Jordanien: das Essen, seine Großeltern, bestimmte Gerüche – und die drohende Beschneidung (zu der es aber dann nicht kam). Die Mutter entschließt sich, nach Deutschland zurück zu gehen. „Wir sind nach Kassel gezogen und waren Ausländer. Selbst meine Mutter hatte kein deutsche Staatsbürgerschaft mehr. Die hatte sie durch die Heirat verloren.“
Hartmut empfindet die Situation als weniger positiv, was aber weniger am Land oder am Integrationsprozess lag, sondern mehr an der Scheidung der Eltern und der Trennung von seinen Geschwistern. Als er in die Schule kommen soll, fällt er eine folgeschwere Entscheidung. Er wählt seinen zweiten Vornamen als Rufnamen.
Hardy statt Samer
„Bis zu meinem 6. Lebensjahr hat mich niemand Hartmut genannt, auch meine Mutter nicht.“ Alle nannten ihn Samer (später wurde daraus durch einen Schreibfehler im Amt: Samir). Doch vor der Einschulung habe er seine Chance gewittert, noch mal seine Identität zu wechseln, sagt er schmunzelnd. „Ich habe gleich hinzugefügt, dass ich im Freundeskreis bitte Hardy genannt werden möchte.“ Bis heute glauben viele, dass sein Name ein Künstlername, ein reines Fantasieprodukt, sei.
Er selber hat mittlerweile akzeptiert, dass die ungewöhnliche Namenskombination bei vielen für Dauerirritationen führt.
„Der kuriose Name Hartmut El Kurdi beschreibt diese halbkatoffelige Existenz, die ich führe. Er passt eigentlich ganz gut.“
Obwohl er lange Zeit ohne Vater aufwächst – er stirbt, als Hartmut zwölf ist –, fühlt er eine gewisse Nähe zu Jordanien. „Der jordanische Teil kam über Bande.“ Seine Mutter, die lange in dem Land gelebt hatte, kocht regelmäßig arabische Gerichte – und erzählt dabei Geschichten von früher. „Es war so eine Art Eventgastronomie“, sagt Hartmut. „Meine Beziehung zu Jordanien funktioniert viel übers Essen.“
„Ich wollte immer auf die Bühne“
In der Jugend zieht es ihn früh Richtung Theater und Musik. „Es war früh klar, dass ich was mit Bühne, Kunst und Schreiben machen würde.“ Er sei einerseits introvertiert, latent depressiv, anderseits auch laut und rebellisch gewesen, mit einem „zur Peinlichkeit neigenden Exhibitionismus.“
Bereits auf dem Gymnasium, aber auch bei seinem Studium der Kulturpädagogik in Hildesheim, ist von Diversität – sowohl kulturell als auch sozial – wenig zu spüren. Es ist noch eine andere Zeit. „Damals war man zwangsläufig immer der Einzige mit Migrationshintergrund.“
Hartmut schreibt Bücher, inszeniert Theaterstücke, verfasst Kolumnen. In Braunschweig verhängt der Oberbürgermeister einen stillschweigenden Boykott gegen ihn, weil Hartmut die NPD-Vergangenheit des CDU-Mannes kritisiert. Die Lokalzeitung berichtet nicht mehr über ihn, im städtischen Kulturbetrieb tut man sich schwer, mit ihm zu arbeiten.
„Ich hatte den Eindruck: Sobald man ‚Probleme‘ macht, wird man zum ‚gebürtigen Jordanier‘. Es stellt sich generell die Frage: Inwieweit hat man das Recht, als Deutscher mit noch anderen Wurzeln, unbequem und kritisch zu sein. Oder gar Mist zu bauen.“
Er fühle sich zwar in seinem kreativen Schaffen frei von Zwängen, dennoch spüre er eine Verantwortung, seine Stellung als Halbe Katoffl im Kulturbetrieb auch zum Positiven zu nutzen. „Ich schreibe in der TAZ viel über Rassismus und AfD, aber nicht, weil ich einen Migrationshintergrund habe, sondern: Ich tue das als Deutscher.“
In Jordanien ist der 55-Jährige im Übrigen bislang nicht wieder gewesen. Seine angedachte Reise in 2019 wurde von einem Bandscheibenvorfall durchkreuzt. Vielleicht Signale des Körpers, mutmaßt Hartmut. „Anscheinend bin ich noch nicht soweit.“
Weitere Themen: Countrymusik mit der arabischen Cousine, Gespräche mit Schülern und Diversität im Kulturbetrieb.
Hartmut El Kurdi auf Facebook und Instagram
Dieses Gespräch wurde live vor Publikum im Pavillon Hannover geführt (Clinch Festival Interlude).
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Kommentare von Frank Joung