Artikel verfasst von Frank Joung

Florence Brokowski-Shekete hat nigerianische Eltern und ist in Buxtehude bei einer deutschen Pflegemutter aufgewachsen. Wir sprechen übers Angepasstsein, ihre traumatische Lebensphase in Nigeria und was sie erlebte, als sie sich für leitende Schulstellen bewarb.

Florence kam im April 1967 in Hamburg zur Welt. Ihre Eltern waren nach Deutschland gekommen, um hier zu studieren. Eine ältere Tochter hatten sie in Nigeria gelassen. Die Eltern hatten wenig Zeit und suchten deshalb ständig nach Betreuungsoptionen für ihr Kind. Als Florence zwei Jahre alt war, kam sie zu einer Frau, die sich um sie kümmern sollte. Es dauerte nicht lange, bis Florence die Frau als „Mama“ bezeichnete und sie zu „Flori“ wurde.

Aufwachsen bei deutscher „Mama“

So wächst Florence wohl behütet bei einer deutschen weißen Frau in Buxtehude auf, während ihre Eltern in Hamburg studierten. Das erste halbe Jahr, sagt Florence, seien ihr Vater und ihre „Mutti“ gar nicht zu Besuch gekommen. Und wenn sie danach kommen, dann unregelmäßig und oft auch unangekündigt. „Das hat mich wahnsinnig gestresst“, sagt Florence heute.

Sie mag das organisierte, ruhige Leben bei ihrer Mama, die in der Kirche engagiert ist. Die lockerere Lebensweise von ihren Eltern dagegen ist ihr fremd. Als Florence neun Jahre alt ist, eröffnen ihr die Eltern, das sie planten, „nach Hause“ zu reisen.

„Irgendwann war klar: Meine Eltern würden zurück nach Nigeria gehen – was mich nicht beunruhigt hat. Beunruhigt hat mich, dass ich mit sollte.“

„Das überlebe ich nicht“

Schon bei der Ankunft am Flughafen in Lagos, noch auf der Gangway, als Florence die stickige Luft, die ihr fremden Geräusche und Gerüche zum ersten Mal in sich aufsaugt, ahnt sie nichts Gutes für sich. Ihre ersten Worte zu ihrer Mutter sind: „Das überlebe ich nicht.“

Dreieinhalb Jahre bleibt sie in dem Heimatland ihrer Eltern. Sie vermisst ihre Mama und Deutschland, ist ständig krank und fühlt sich insgesamt sehr unwohl. Für die Nigerianer:innen ist sie weiß, in der deutschen Schule wundert man sich, warum sie – als „Nigerianerin – in der Klasse ist. Auch hier ist sie stets „Die Andere“.

„Da habe ich gemerkt: Ausländisch sein, fremd sein hat nicht nur was mit der Hautfarbe zu tun.“

Dann darf sie schließlich doch zurück „nach Hause“ nach Buxtehude und wieder bei ihrer deutschen Pflegemutter leben. Als Auflage soll sie aber jede Sommerferien nach Nigeria kommen. Das macht sie im darauffolgenden Sommer auch, in den folgenden Jahren aber verweigert sie sich. Sie war seitdem nie wieder da.

Keine Zeit zum Pubertieren

Doch auch in Deutschland ist nicht alles rosig. Die Ausländerbehörde macht Druck, ihre Aufenthaltsgenehmigung wird geprüft, sie bekommt gesagt, dass sie Abitur machen und studieren müsse und keinem Deutschen einen Arbeitsplatz wegnehmen dürfe.

„Ich bekam die Auflage: Schule muss immer top sein. Das Abi muss geschafft werden. Es war gar keine Zeit zum Pubertieren. Ich brauchte die Zeit zum Lernen und um mich zu fokussieren.“

Unschöne Situationen, die sie des Öfteren erlebt, und die sie heute zum Teil als Alltagsrassismus bezeichnen würde, blendet sie größtenteils aus oder nimmt sie hin. Dazu kommen finanzielle Sorgen. Ihre Mutter verdient als Schneiderin nur wenig Geld und muss auch im hohen Alter noch putzen gehen. Mit 21 wird Florence offiziell adoptiert und erhält die deutsche Staatsbürgerschaft.

„Ich bin geduldet, weil ich brav bin“

Florence navigiert sich durchs Leben. Sie lernt mehr und mehr, dass sie vor allem deswegen akzeptiert ist, weil sie sich angepasst präsentiert. Bei einigen Themen spürt sie schnell, dass sie nicht dazugehört.

„Ich merke ja: Ich bin geduldet, weil ich die brave Flori bin. Die ist ordentlich, die riecht und schmutzt nicht. Aber mehr war nicht. Ich durfte vielleicht noch mit den Töchtern spielen. Aber ein Schwarzes Mädchen hat keinen weißen Jungen gut zu finden.“

Rassismus in der Schule

Nach dem Studium arbeitet sie als Lehrerin und selbständige Kommunikationstrainierin. Sie erlebt Rassismus und Mobbing, erfährt aber auch Unterstützung und Allyship. Als sie sich für eine Stelle als Schulleiterin bewirbt, hat das weitreichende Folgen.

„Mir war gar nicht so bewusst, was das für eine erdrutschartige Entscheidung war – nicht für mich, sondern für die Menschen, die auf einmal damit konfrontiert waren: Eine Schwarze möchte eine weiße Schule leiten.“

Doch sie lässt sich nicht unterkriegen auf ihrem Weg. „Ich bin ein Mensch, der Stolpersteine nutzt und aufeinanderstellt, um ein höheres Ziel zu erreichen.“ Heute arbeitet sie als Schulamtsdirektorin. Ihre Biographie hat sie in einem Buch zusammengefasst, das 2020 erschien. Es heißt: „Mist, die versteht mich ja. Aus dem Leben einer Schwarzen Deutschen“.

2022 soll ein weiteres Buch erscheinen.

Weitere Themen: Frisuren, Kritik und Akzeptanz von/ in der Schwarzen Community, Boney M. und ihr Harry-Potter-Invisible-Cloak.

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