Vom Geflüchteten zum bekanntesten Personalchef Deutschlands: Die Lebensgeschichte von Cawa Younosi, 45, fasziniert viele Menschen. Ein Gespräch über seine Flucht als Teenager, Mitarbeiter:innen-Zufriedenheit – und ein Afghanistan, das es nicht mehr gibt.
Cawa Yonousi wird im Dezember 1975 in Kabul geboren. An seine Kindheit in Afghanistan hat Cawa wenig Erinnerungen. Er ist der Älteste der Geschwister und muss schon früh mit anpacken. „Ich habe sehr früh erwachsen werden müssen“, sagt er.
„Ich kann mich nicht daran erinenrn, dass wir als Familie mal unbeschwerte Zeiten hatten.“
„Dann hieß es: ab nach Europa“
Es kommt noch schlimmer. Mit 14 soll Cawa in die Armee. Sein Vater n immt ihn mit nach Indien, wo er dann in ein Flugzeug steigen muss. „Es war dunkel – und dann hieß es: Ab nach Europa!“
Dass er nach Deutschland fliegt, erfährt er erst unterwegs. Das einzige, was er von dem Land kennt, ist: Modern Talking. Er wäre lieber nach England gekommen. Was ihn als erstes fasziniert, als er aus dem Flughafen kommt, ist das viele Grün.
In der Schule findet er anfangs schwer Anschluss. Er sei verschlossen und unsicher gewesen und habe unter Minderwertigkeitskomplexen gelitten, erzählt Cawa. Er wartet darauf, dass er wieder zurück kann und mit seiner Familie vereint ist.
„Ich war nicht gekommen um zu bleiben. Ich habe die ganze Zeit auf den Anruf meiner Eltern gewartet, dass ich wieder zurückkommen kann nach Afghanistan.“
„Ich habe mich geschämt als ‚Flüchtling'“
Sein Deutsch verbessert er, indem er intensiv das Buch „Schlüssel zur Philosophie“ durcharbeitet. Er braucht ein Jahr, um es zu lesen. „Ich war nicht so, wie es eigentlich mein Wesen ist.“
Nach dem Abi fällt er in ein tiefes Loch. Er weiß nicht, wie es weitergehen soll. Durch einen Zufall gerät er an einen Zeitschriftenladen, den er mithilfe seines Schwiegervaters aufmöbelt – und dann fünf Wochen nach Eröffnung mit Gewinn wieder verkauft. Danach kauft und betreibt er einen Kiosk und arbeitet als Handyverkäufer. Seine Herkunft verschweigt er lieber.
„Ich habe immer gesagt, dass ich aus Kolumbien komme. Ich habe mich geschämt als ‚Flüchtling aus Afghanistan‘. Es hat lange gedauert, bis ich offen dazu stehen konnte.“
Das Gefühl, fremd oder anders zu sein, begegnet ihm auch zu Beginn seines Jurastudiums, wo er in Anzug und Krawatte auftaucht, nach einem Stundenplan fragt und in einer Vorlesung nicht weiß, was das BgB (Bürgerliches Gesetzbuch) ist. „Ein ganzes Semester habe ich verloren, weil ich mich so blamiert habe und dann nicht mehr hingegegangen bin“, sagt er heute lachend. „Aber ich hatte keine Ahnung und konnte niemanden fragen.“
Doch er findet sich ins Studium rein, schließt es ab und fängt irgendwann bem Softwareunternehmen SAP an zu arbeiten, wo er noch heute ist.
„Afghanistan war ein anderes Land“
Afghanistan besucht er nur einmal, 2006, gemeinsam mit seiner Frau. Doch was er vorfindet, unterscheidet sich stark von seinen Erinnerungen. „Es war ein ganz anderes Land. Es sah aus, als wäre ein Tsunami übers Land gefegt, und die Leute hätten es nicht mehr geschafft aufzuräumen.“ Auch sei ihm eine Grunddepression bei den Menschen aufgefallen. „Ich habe gemerkt, wie sich die Menschen in kleinere Einheiten zusammenziehen.“
Heute hat er nur wenig Kontakt zu seiner Familie. Die Lebenswelten seien zu verschieden. Dass er als Personalchef eines weltweit agierenden Softwareunternehmens Karriere macht, könnten seine Verwandten nur schwer nachvollziehen.
„Im Mittelpunkt steht der Mensch“
Und Cawa hat die „Huma-Ressource-Szene“ mächtig mit aufgewirbelt. Dabei scheint ihm das, wofür er steht, selbstverständlich. „Mein Motto ist: Wahrheit vor Mehrheit vor Hierarchie.“ Im Mittelpunkt stünde der Mensch. Vertrauen sei das A und O.
Tatsächlich bekommt SAP seit Jahren schon sehr gutes Feedback von Mitarbeiter:innen und Kund:innen. Sowohl für Diversity und Inklusion aber auch für eine gesunde Work-Life-Balance scheint sich das Unternehmen aufrichtig einzusetzen.
„Wir haben eine Konsenskultur. „Das ist nicht immer einfach“, gibt Cawa zu. „Es gibt viele Diskussionen und Niederlagen. Wenn man so arbeitet, sind Reibereien vorprogrammiert.“ Aber das Richtige tun bedeute eben, dass es beiden Seiten, den Mitarbeitenden und der Company, zugute kommt. Wichtig sei, dass man auch das einhält, was man predigt.
Diese Folge ist Teil der „Work-Edition“ mit dem Schwerpunkt Arbeit. Sie wird unterstützt von LinkedIn.
Kommentare von Frank Joung