Alice Sara Ott ist eine international bekannte deutsch-japanische Pianistin. Die 33-Jährige spricht darüber, wie ihre musikalische Identitätssuche auch eine persönliche Krise auslöste, warum sie die Klassik nahbarer machen möchte und wie sie mit Multiple Sklerose lebt.
Alice wird im August 1988 in München geboren. Ihre Eltern hatten sich in Japan kennengelernt, ihr Vater machte ein Praktikum in Japan, ihre Mutter interessierte sich laut Alice für die deutsche Grammatik und half beim Übersetzen.
Sie erinnert sich daran, wie ihre Kindheit neben dem Deutschen auch japanisch geprägt ist. Zuhause wird sie zweisprachig erzogen, sie geht einmal in der Woche zur japanischen Schule und die Kita ist sehr international.
Geflasht vom Klavierkonzert
Bereits mit drei Jahren erlebt Alice einen Schlüsselmoment: Sie begleitet ihre Eltern zu einem klassischen Konzert und ist ganz „geflasht“ von dem Pianisten auf der Bühne.
Es soll aber noch ein Jahr dauern, bis sie mit dem Klavierspielen anfangen darf. Ihre Mutter – selbst Pianistin – sträubt sich anfangs noch, lässt sie dann aber doch ans Instrument. Üben ist kein Problem. „Man musste mich vom Klavier wegzerren“, erzählt Alice.
Danach geht es für sie musikalisch nur bergauf: Erste Wettbewerbe, große Erfolge, mit 12 ist sie Jungstudentin am Salzburger Mozarteum, Konzerte mit 16, mit 19 unterschreibt sie bereits einen Exklusiv-Plattenvertrag mit „Deutsche Grammophon“. Die Musik ist ihr Zufluchtsort. Sie habe früh gespürt, dass sie nirgends wirklich dazugehöre.
„Aber sobald ich auf der Bühne stand, war es egal, woher ich kam. Dort konnte ich selber bestimmen und definieren, wer ich bin.“
Die Krise folgt mit 22, 23 Jahren. Als der erste Hype um das „neue Gesicht“ abebbt, die bezaubernde, neue Welt erste Brüche bekommt und die Klassikszene eine Vision, eine künstlerische Identität von ihr erwartet.
Alice stellt sich eigene Fragen, wenn sie ins Publikum schaut und eine gewisse Alters- und Gesellschaftsschicht entdeckt. „Ich wollte mit meiner Musik meine Generation erreichen und nicht nur eine exklusive Gruppe.“
„Es fühlte sich an wie ein Herumschwimmen“
Rund sechs Jahre habe diese musikalische und persönliche Krise gedauert. „Es fühlte sich an wie ein Herumschwimmen. Ich wusste nicht, in welche Richtung es gehen sollte.“
Sie bricht schließlich mit einigen klassischen Regeln der Klassik, tauscht die helle Beleuchtung gegen Lichtspielereien aus, kleidet sich anders auf der Bühne, baut zeitgenössische Musik in ihre Konzerte und Alben ein – was vor allem Klassikpurist:innen nicht gefällt.
Die Identitätssuche hat sie für sich vorerst so geklärt:
„Ich will gar nicht ‚deutsch‘ oder ‚japanisch‘ sein. Meine identität hat nichts mit einer Nationalität zu tun.“
Im Herbst 2018, inmitten einer stressigen Tournee, bekommt sie die Diagnose Multiple Sklerose. Derzeit gehe es ihr gut, sagt sie. Die Krankheit, die ganz verschiedene Gesichter habe, belaste ihr Leben gerade nicht.
Diese Folge ist Teil der „Work-Edition“ mit dem Schwerpunkt Arbeit. Sie wird unterstützt von LinkedIn.
Kommentare von Frank Joung