Alexandra Wester ist in Gambia geboren. Ihre Mutter kommt aus Ghana, ihr Vater ist Deutscher. Die Weitspringerin über toxischen Neid, wie empowernd Selbstbestimmheit ist – und warum es nie eine andere Option gab als Sport.
Drei Jahre alt ist Alexandra, als sie aus Afrika nach Deutschland kommt. Was folgt, ist erst einmal große Ernüchterung: Ihr Vater hatte ihr und ihrer zwei Jahre älteren Schwester Schnee versprochen. Doch der blieb in der ersten Zeit. Es war noch Herbst. „Ich habe viele und schöne Erinnerungen an Gambia“, sagt Alexandra. „Wir wollten erst nicht weg.“
Kräfte messen mit den Jungs
In der Schule gerät Alexandra oft in körperliche Auseinandersetzungen mit den Jungs – meist aber nur aus Spaß. „Ich habe es geliebt, meine Kräfte zu messen.“ In der Schule kommt sie gut klar, auch in ihrem rheinland-pfälzischen Dorf, wo es nur „drei, vier Schwarze“ gibt, wird sie gut angenommen. Doch sie erlebt auch Negatives: „Einer hat mal gesagt: ‚Du kannst nicht mit uns Fangen spielen, weil du schwarz bist‘ – ich fand das unlogisch“, erzählt sie lachend.
Manchmal verspotten Kinder ihren Geburtsort Bakau, der für sie wie Kakao klingt. Menschen wollen ihre Haare anfassen, fragen sie, ob sie arm sei, und sie muss in den „Ausländerkurs“, obwohl ihr Deutsch super ist, wie sie sagt. „Das habe ich nicht verstanden.“ Eine besondere Situation ist ihr noch gut in Erinnerung geblieben: Ein Junge kommentiert ihr Laufen auf dem Pausenhof hinter ihrem Rücken mit: „Run, N******, Run!“ Sie konfrontiert ihn vor allen anderen damit, fordert ihn auf, es nochmal vor ihr zu wiederholen – und erntet nur sein Schweigen.
Die Beste mit 15 Jahren
Mit sieben Jahren geht sie in den Leichtathletikverein. Sport wird schnell zu einem wichtigen Faktor in ihrem Leben. „Ich habe früh gemerkt: Dein Leben läuft gut, wenn du Sport machst.“ Bereits mit 15 Jahren wird sie für den Leichtathletik-Bundeskader nominiert. In dem Jahr springt keine in ihrem Alter so weit wie sie – in der ganzen Welt.
Ihre Leidenschaft gilt aber einer anderen Disziplin als Weitsprung: „Ich habe Siebenkampf geliebt.“ Schon früh träumt Alexandra von Höherem: „Ich wusste: Ich will zu Olympia.“ Doch mit 17 folgt der große Rückschlag: Beim Hürdenlauf verletzt sie sich ihr Knie schwer. Danach geht lange nicht mehr viel.
Aber sie kämpft sich zurück.
„Glück ist mentale Arbeit“
„Es hat viereinhalb Jahre gedauert, bis ich wiedergekommen bin. Das hat mich so stark gemacht.“ 2016 springt sie beim ISTAF in Berlin sensationelle 6,95 Meter und qualifiziert sich für die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro. Sie erfüllt sich ihren Lebenstraum – allerdings scheidet sie früh im Wettkampf aus. Aber sie nimmt mehr mit als eine Niederlage. Die ganze Verletzungs- und Regenerationszeit über habe sie nie an ihren Zielen gezweifelt. Sie habe immer gewusst:
„Für mich war Sport mein Leben. Ich wusste, ich kann das. Ich hatte es im Gefühl. Es gab keine andere Option. Du musst crazy sein, um die Beste zu sein.“
„Glück ist mentale Arbeit“, sagt die 26-Jährige, die auch schon früh mit dem Thema Neid konfrontiert wurde. Für einen großen Erfolg in Rio habe ihr die Gelassenheit gefehlt, sagte sie rückblickend. Die scheint sie in den vergangenen Jahren mehr und mehr gefunden zu haben. Gerade auch durch den stärkeren Kontakt zu ihren afrikanischen Wurzeln findet sie mehr zu sich und zu dem, was sie stärkt und wofür sie stehen will.
„Ich habe gemerkt: Durch den Sport entwickelst du eine größere Stimme: Die Leute hören zu, was du sagst und du hast die Kraft, etwas zu verändern.“
Du musst dich nicht entscheiden
Selbstbestimmtheit, Frauen-Empowerment und Anti-Rassismusarbeit seien ihr wichtig – ein offenes Herz, eine eigene Identität, emanzipiert von den gesellschaftlichen Normen. Sie könne sowohl zu ihrer deutschen als auch zu ihrer gambisch-ghanaischen Herkunft stehen und Beidem was Gutes abgewinnen.
„Leute drängen dich zu einer Entscheidung (was deine Identität angeht). Das musst du nicht. Du musst dich nicht für eine Seite entscheiden. Da ist keine Wand, die du aufbauen musst, sondern eine Brücke. Das ist was sehr Besonderes, mit dem du sehr viel anfangen kannst!“
Sport ist immer noch der Mittelpunkt ihres Lebens, aber zugleich auch Mittel zum Zweck. So unterstützt sie derzeit Momodou Sey, einen Athleten aus Gambia. Gemeinsam mit ihrem Freund, der auch Leistungsportler ist, sammelt sie Spenden und sorgt für ein professionelles Leístungssport-Umfeld. Derzeit (Stand: März 2020) trainieren sie gemeinsam in den USA. Ziel: die olympischen Spiele in Tokio, bzw. eine US-Amerikanische Universität für Momodou zu finden.
Sie kenne selbst noch die Zeiten, in denen sie nur zehn Euro auf dem Konto hatte und sich nicht mal ein Wettkampfoutfit leisten konnte. Damals halfen ihr Freundinnen mit einem Outfit aus. Als Sponsoren sie später mit Schuhen und Laufbekleidung überschütteten, revanchierte sie sich. „Giving Back“ sei ihr sehr wichtig. Durch die Rückschläge im Sport habe sie realisiert, dass es unter anderem darum geht, mit den Dingen, die einem gegeben werden, umzugehen zu lernen, aber auch das Glück in die eigenen Hände zu nehmen.
„Wenn du weißt: Du machst dein eigenes Ding. Dinge, die odd sind oder anders, wo du scheitern kannst, aber auch fliegen – dann weißt du, dass du lebst.“
Weitere Themen: Kung-Fu in Wuhan, Swimming Pool im Keller, Ameisenüberfall und #SlideIntoHerDMs.
Spenden für Momodou GoFundMe-Page von Momodou
Instagram: @alexavalerie | @SmilingKidsofAfrica
Die Serie “Halbe Katoffl Sport“ ist im vergangenen Jahr in Kooperation mit „Integration durch Sport“ entstanden, anlässlich dessen 30-jährigen Jubiläums. Das Bundesprogramm wird vom Bundesinnenministerium und vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gefördert. Wegen des großen und positiven Zuspruchs wird die Podcastreihe in diesem Jahr fortgeführt. Sie erscheint immer Mitte des Monats. Hier findest du die anderen Sport-Episoden.
Kommentare von Frank Joung