Artikel verfasst von Simone Ahrberg-Joung
Diese Episode ist Teil der Serie „Sport-Edition“

Minh-Thu Nguyens Eltern stammen aus Vietnam. Die 26-Jährige musste ihre Leidenschaft, das Tanzen, vor ihren Eltern verheimlichen. Ein Gespräch über Familienkonflikte mit Sprachbarrieren, Maggi-Gerichte und die Heilkraft von Hip Hop.

1993 kommt Minh-Thu zur Welt. Ihre Eltern waren unabhängig voneinander für die Arbeit nach Deutschland gekommen, in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Sie begegneten sich in Berlin.

Die Eltern arbeiten im Restaurant von Freunden, um ihren Lebensunterhalt zu sichern und Geld in die Heimat senden zu können: „Meine Eltern waren wenig da. Es ging eben nicht anders. Wir hatten es finanziell nicht so leicht.“ Minh-Thu bleibt ein Einzelkind.

„Ich wollte immer anders sein“

Minh-Thu ist eine sehr gute Schülerin. Die Eltern sind streng mit ihr und setzen sie unter einen starken Leistungsdruck: „Meine Eltern wollten immer, dass ich die Beste bin.“

Sie leidet unter dem Statusdenken ihrer Eltern und unter den häufigen Vergleichen mit anderen Kindern. In der katholischen Gemeinde, der die Familie angehört, fühlt sie sich nicht zugehörig. Sie will anders sein, anders aussehen und hat andere Interessen:

„Ich wollte mich immer austoben; wollte immer das Gegenteil von dem Bild von mir, in das meine Eltern vernarrt waren.“

Schon früh experimentiert sie mit vielen verschiedenen Frisuren und entwickelt einen ganz individuellen Kleidungsstil.

„Das erste Mal zu Hause gefühlt“

Als sie 13 Jahre alt ist, beginnt Minh-Thu heimlich, Hip Hop zu tanzen: „Das war für mich wie eine andere Welt, in der ich mich zum ersten Mal zu Hause und verstanden gefühlt habe.“ Als ihre Eltern davon erfahren, sind sie zunächst total dagegen; erlauben es ihrer Tochter dann aber unter der Bedingung, dass die schulischen Leistungen weiterhin stimmen.

Minh-Thus musikalische und tänzerische Begabung fiel bereits im Kindergartenalter auf. Immer wieder sprechen Erzieher und Lehrer die Eltern auf das Talent ihrer Tochter an; denen jedoch das Geld fehlt, um Unterricht zu bezahlen. „Irgendwie habe ich aber trotzdem meinen Weg gefunden.“

Minh-Thu tanzt zunächst im Jugendzentrum, später in einer Tanzschule. Sie tanzt Formation, nimmt an Meisterschaften teil und spezialisiert sich schließlich auf Hip Hop. Ihr gefällt die Offenheit und Kreativität der Szene und dass sie hier so sein kann, wie sie will.

Durch die Probleme mit den Eltern vertieft sich Minh-Thu immer mehr in ihre Leidenschaft:

„Dass ich meine Emotionen durch das Tanzen ausdrücken konnte, hat mich geheilt. Danach war es halb so schlimm, wieder nach Hause zu gehen.“

Keine gemeinsame Sprache

Die Beziehung zwischen Eltern und Tochter gestaltet sich nicht zuletzt auch deswegen so schwierig, weil es nur begrenzt eine gemeinsame Sprache gibt. Zu Hause wird Vietnamesisch gesprochen, aber: „Ich kann mich auf Deutsch viel besser ausdrücken. Manchmal habe ich gedacht, sie würden mich besser verstehen, wenn ich es auf Vietnamesisch sagen könnte.“

Mit den Jahren hat sich das Verhältnis verbessert. „Als ich älter wurde, habe ich verstanden, dass sie nur das Beste für mich wollten und sich Sorgen um mich gemacht haben.“ Es sei schwierig gewesen für Mutter und Vater, die als Erwachsene nach Deutschland kamen, hier mit einem völlig anderen Lifestyle konfrontiert zu sein. „Ich bin ganz anders aufgewachsen als meine Eltern, in einem Land, in dem ich das machen und werden kann, was ich will. Meine Eltern hatten nicht so viele Optionen.“

Minh-Thu ist heute professionelle Tänzerin. Sie hat einen Bachelor in Mode-Management, gibt Fitness-und Breakletics-Kurse und modelt. Besonders am Herzen liegt ihr die Arbeit mit Teenagern, denen sie Hip-Hop-Unterricht gibt:

„Es ist ein megaschönes Gefühl, jemandem etwas beizubringen, das du liebst. Tanzen hat mir geholfen – und es hilft auch den Kids. Bei ihnen siehst du von Woche zu Woche, wie sie sich entwickeln durch das Tanzen.“

„Ich mach, worauf ich Bock habe“

Minh-Thu genießt ihre Freiheit und ihren Erfolg. „Es läuft jetzt so gut und ich habe nur dieses eine Leben. Ich mache jetzt, worauf ich Bock habe.“

Und einen Vorteil hat der hohe Leistungsanspruch ihrer Eltern aus Minh-Thus Sicht doch gehabt: „Dadurch, dass meine Eltern mich so gepusht haben als Kind, gebe ich mir immer noch mit allem sehr viel Mühe und will die Sachen so gut wie möglich machen.“

Obwohl Minh-Thu ihre Zweifel hat, dass ihre Eltern wirklich genau verstehen, was ihre Tochter beruflich tut, fühlt sie heute deren Vertrauen und Rückhalt. Sie schickt ihnen Bilder und Videos ihrer Arbeit per WhatsApp und lässt sie mehr an ihrem Leben Anteil nehmen.

„Mittlerweile sind meine Eltern sehr stolz – egal, was ich mache. Jetzt akzeptieren sie das und unterstützen mich – aber das war echt ein langer Kampf.“

Weitere Themen: Vietnam-Besuche, Reis mit Gurke und Maggi, fehlende asiatische Role-Models und Modelabel für Senioren.

Minh-Thu auf Instagram @minhtwo und YouTube @min2

Text: Simone Ahrberg-Joung

Die Serie “Halbe Katoffl Sport” ist entstanden in Kooperation mit „Integration durch Sport“, das dieses Jahr sein 30-jähriges Jubiläum feiert. Das Bundesprogramm wird vom Bundesinnenministerium und vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gefördert.

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