Künstler, Aktivist, Mensch – Kutlu Yurtseven ist in Porz geboren. Im Podcast spricht er über den Generationenkonflikt mit seinen türkischen Eltern, wie er Wut in positives gesellschaftliches Engagement kanalisierte, wie rassistische Anschläge sein Leben beeinflusst haben und wieso Empathie und Erinnerung so wichtig sind.
Kutlu musste sich schon früh an eine neue Umgebung gewöhnen – als er von dem einen Stadtteil in einen anderen umzog. Der 48-Jährige lacht und sagt:
„Wir sind von Köln-Porz bis nach Köln-Flittard gezogen. Das war die einzige Migration, die ich erlebt habe.“
Kutlu wurde 1973 in Porz am Rhein geboren. Seine Eltern waren vorher – Ende der 1960er, Anfang 1970er – aus der Türkei gekommen. Sie seien vor den eigenen Familien, die die Liebe nicht akzeptierten, abgehauen, erzählt Kutlu.
Sport und Rap als Ventil
Kutlu wächst in einem sehr „deutschen“ Umfeld auf, die Eltern wählen bewusst nicht das Stadtviertel, wo die meisten anderen türkischen Gastarbeiter*innen leben (und welches ihnen von den Behörden nahe gelegt wurde).
Erst ist Sport für Kutlu ein Ventil („Ich war ein lautes Kind“), danach immer mehr die Musik. 1989 gründet er mit fünf anderen Freunden die Rapgruppe „Microphone Mafia“, eine der ersten Hip-Hop-Bands in Deutschland. Sie rappen in verschiedenen Sprachen und sprechen in ihren Liedern gesellschaftliche und politische Themen an.
„Ich glaube, wir hatten nicht die Chance, unpolitische Songs zu machen, was aber nicht heißt, dass wir politische Menschen waren.“
So rappen sie gegen Rassismus, aber verwenden zum Teil Begrifflichkeiten, die sich gegen andere Minderheiten richten, erzählt Kutlus. Ein Lied, das beispielsweise die Zeile „In deinen Arsch, dummer Junge“ beinhaltet, dichten sie nach Gesprächen mit einem Bekannten um in „In dein Ohr, dummer Junge“.
Streit am Esstisch
Zu Hause gibt es oft Streit und Diskussionen mit seinen Eltern. Sein sieben Jahre älterer Bruder und er erfahren oft Rassismus, die Eltern hingegen appelieren an Demut und Dankbarkeit. An einen Schlüsselsatz erinnert sich Kutlu heute noch gut. Als er seinen Eltern vorwirft, dass sie nicht (sprachlich) verstehen würde, was die „Deutschen“ sagen und nur deswegen alles hinnehmen könnten, antwortet sein Vater:
„Manchmal ist nicht verstehen ein großes Glück. Und manchmal ist nicht verstehen wollen eine Tugend.“
Da habe er verstanden, dass seine Eltern nicht „gebückt gehen“ würden, weil sie kein Rückgrat hätten, sondern im Gegenteil. Dass sie auch die Nachteile des Migrant*innendaseins hinnehmen können, weil sie um ihr Privileg wüssten, und die Vorteile überwiegten. Das höhere Ziel sei immer gewesen: „Unseren Kindern soll es mal besser gehen.“
„Und dann kam Solingen“
Der Brandanschlag auf ein Wohnhaus in Solingen, bei dem drei türkeistämmige Mädchen und zwei junge Frauen starben, macht Kutlu und sein Umfeld wütend. Sie gehen auf die Straße. Es ist eben kein „Einzelfall“, sondern reiht sich ein in eine Serie von rassistischen Anschlägen: Hoyerswerda, Mölln, Rostock-Lichtenhagen.
Kutlu ist enttäuscht und wütend auf die Politik, die sich nicht um die Betroffenen oder die rassistischen Strukturen kümmert, sondern das Asylrecht einschränkt und die Verantwortung von sich weist.
Auch Jahre später beim Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße – die zentrale Geschäfts- und Ladenstraße der türkischen Community – ermitteln die Behörden direkt und fast ausschließlich im Kreis der Betroffenen, statt (offiziell) eine rechtsextreme Tat in Betracht zu ziehen. In den Medien vermutet man „kriminelle Ausländermilieus“.
Erst Jahre später stellt sich heraus, dass das Attentat dem rechtsextremen NSU zuzuordnen ist. Kutlu ist sich sicher, dass das kein naives Fehlverhalten der Ermittlungsbehörden war, sondern: „Sie wussten es von Anfang an.“
Erinnern und 4 Blocks
Kutlu, der lange in der Nähe der Keupstraße gewohnt hat, gründet mit anderen später die Initiative „Keupstraße ist überall“. Derzeit (Stand Februar 2022) kämpft die Initiative unter anderem für ein Denkmal. Nach Jahren des Streits scheint eine Einigung in Sicht.
Kutlu arbeitet als Ganztagskoordiantor für den Nachmittagsbereich an einer Schule, wo er auch Workshops gegen Rassismus anbieten darf. „Ich habe das Glück, meinen Aktivismus in der Schule ausleben zu können.“ Auch in anderen Jobs, als Schauspieler im Theaterstück „Die Lücke“ oder als aktives Mitglied der Microphone Mafia (mittlerweile ein Duett) setzt er sich für seine ganz persönlichen „4 Blocks“ ein:
Empathie, Menschlichkeit, Respekt, Solidarität.
„Nur weil wir politisch auf der richtigen Seite stehen, sind wir noch lange nicht die besseren Menschen.“
Weitere Themen: Beef mit Fanta 4, Kanak Attack und ein gepackter Koffer im Schrank.
Spenden an: Lückenlos e.V. :
https://www.nsu-tribunal.de/unterstuetzen/
Diese Folge ist entstanden in Kooperation mit „Kein Schlussstrich! Ein bundesweites Theaterprojekt zum NSU. Gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes und das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Programms „Demokratie leben!„.
Kommentare von Frank Joung