Sarah Desai kommt 1980 in Essen auf die Welt. Sie hat südafrikanisch-indisch-deutsche Wurzeln. Mit Frank spricht sie über ihre Kindheit im Haus der deutschen Großmutter, Behördengänge und die einzigartigen Kochkünste ihres Vaters.
Sarahs Mutter ist Deutsche, ihr Vater Südafrikaner mit indischen Wurzeln. Zu Zeiten der Apartheid muss Sarahs Vater das Land aus politischen Gründen in einer Nacht- und Nebelaktion verlassen. Über London kommt er nach Mühlheim an der Ruhr, wo die Eltern sich kennen lernen.
Braunes Gesicht hinterm Blumenstrauß
Sarahs Mutter stammt aus einer wohlsituierten Arztfamilie. Noch heute erzählt sie, wie geschockt ihre Mutter – also Sarahs Großmutter – damals gewesen sei, als bei der ersten Begegnung das braune Gesicht ihres Freundes hinter dem riesigen Blumenstrauß zum Vorschein kam.
Sarahs Vater kann in Deutschland nicht Fuß fassen. Mit seinem Hintergrund und seiner Hautfarbe ist es für ihn nicht einfach in der deutschen Kleinstadt. Die Ehe zerbricht. Als Sarah drei Jahre alt ist, zieht ihre Mutter mit ihr und dem älteren Bruder ins Haus der Großeltern.
Die Mutter arbeitet viel; der Vater ist wenig präsent. Die Großmutter kümmert sich um die Kinder. Dennoch fühlt Sarah sich bei ihr stets als Gast und nie voll akzeptiert: „Ich habe schnell gemerkt, dass ich ihrem Prädikat ‚wertvoll‘ nicht wirklich genügen konnte. Das hat was mit mir gemacht.“
„Meine Oma konnte mir kein Herz geben“
Die Zeiten mit dem Vater genießt Sarah sehr. Er ist zwar immer wieder lange abwesend, aber sie identifiziert sich stark mit ihm und fühlt sich bei ihm zu Hause. Wenn er da ist, kocht er stundenlang für die Kinder. Seine Gerichte, eine Verbindung aus südafrikanischer und indischer Küche, hat Sarah nie wieder irgendwo anders gegessen.
„Es gab Roti mit Sugar Beans. Das isst man mit den Fingern. Sonntagabend bei meiner Großmutter gab es dann Graubrot. Wenn ich die Tomate nicht mit Besteck essen wollte, war das ein Eklat für sie.“ In Sarahs Kindheit prallen verschiedene Welten und Generationen aufeinander.
„Mit meinem Vater habe ich mich total identifiziert und nah gefühlt, aber er konnte mir gar keinen Halt geben. Und meine Oma, die mir Halt gegeben hat, konnte mir kein Herz geben.“
Als sie schon erwachsen ist, gibt die Großmutter zu, dass sie aufgrund des Vaters immer das Gefühl hatte, strenger mit den Kindern sein zu müssen. „In der Pubertät war das die Vorlage für mich auszubrechen. Heute kann ich dem auch mit Mitgefühl begegnen.“ Laut Sarah hat die heute 99-jährige Großmutter ihren Vater nie wirklich akzeptiert.
„Ich musste raus, um meine Identität zu finden“
In der Schule ist Sarah eine selbstgewählte Einzelgängerin. Sie hat wenig Interesse an den Mitschülern, unter denen kaum jemand einen Migrationshintergrund hat. Früh macht sie sich auf die Suche nach ihrer Identität und findet ihr eigenes Umfeld außerhalb der Schule. Die Lehrer akzeptieren, dass sie nicht immer anwesend ist: „Ich habe schnell gemerkt, dass ich viele Freiheiten habe, solange die Noten stimmen.“
Mit 16 Jahren zieht Sarah aus. „Ich musste raus von zu Hause. In diesem rein weißen deutschen Umfeld hätte ich meine Identität gar nicht finden können.“ Über ihre Liebe zur Musik kommt Sarah zu Plattenfirmen. Sie absolviert Praktika; studiert BWL. Nach dem Studium fängt sie in einem Musikverlag an.
Die Suche nach ihrer eigenen Identität dauert an – bis Sarah mit 24 Jahren Mutter wird:
„Wenn Du ein Kind bekommst, hörst du auf, dich um dich selber zu drehen. Viele Dinge, über die ich mir davor Sorgen gemacht habe, sind einfach weggefallen. Ich habe gemerkt: Da gibt es noch so viel mehr. Das war der Game Changer für mich.“
Dennoch ist in dieser Phase nicht alles einfach: Schon kurz nach der Geburt ihres Sohnes ist Sarah alleinerziehend. Sie hat finanzielle Nöte und bekommt zu spüren, wie schnell man von der Außenwelt auf Klischees reduziert wird, wenn es einmal nicht so gut läuft.
Glaubenssatz „Ich genüge nicht“
„Da ist mir auch bewusst geworden, dass das etwas mit meiner eigenen Wahrnehmung zu tun hat. Die Dame aus dem Sozialamt hat ihr Bild von mir und ich bestätige das innerlich. Glaubenssätze wie ‚Ich genüge nicht‘ oder ‚Ich gehöre nicht dazu‘ sind sehr kompatibel mit dem Bild deines Gegenübers.“
Sarah überwindet diese schwierige Zeit, wechselt mehrmals den Ort und macht Karriere in der Musikbranche. Sie arbeitet in Wien im Marketing von Universal; geht nach Berlin und leitet das Label Jive Records. Sie begleitet große Künstler wie Namika; verantwortet Budgets und ist zugleich auch kreativ tätig.
Trotz des Erfolges schleicht sich nach einigen Jahren Unzufriedenheit ein und Sarah spürt den Wunsch, noch freier ihre eigenen Visionen zu entwickeln. Sie kündigt ihren Job, geht für ein paar Monate mit ihrer Familie auf Weltreise und spürt zunächst einmal die große Angst vor der Ungewissheit. Ihr wird klar, was genau ihr an der Arbeit im Musikbusiness wirklich Freude bereitet: „Menschen zu begleiten. Musikknowhow wird repetitiv. Was aber immer individuell bleibt, ist der Weg von Menschen.“
Podcast und Buch
Die Themen Persönlichkeitsentwicklung, Meditation und Achtsamkeit, denen sie sich privat schon lange widmet, werden mehr und mehr zu ihrem Beruf. Die zahlreichen Ausbildungen und Retreats, die sie über die Jahre parallel für sich persönlich gemacht hat, dienen ihr nun als Grundlage für ihre Arbeit in der Beratung und Begleitung von Menschen.
Die Idee, ihre Inhalte über einen Podcast zu vermitteln, kam vor ca. zwei Jahren von einer Bekannten. Seitdem ist Sarah mit „The Mindful Sessions. Dein Podcast für mehr Achtsamkeit und Soulpower“ einem großen Publikum bekannt geworden und hat schon über hundert Episoden produziert. Im Februar 2020 erscheint ihr erstes Buch „Leb das Leben, das du leben willst.“
Weitere Themen: Selbstzweifel, öffentlich sein und berufliche Identität
Sarah auf Instagram: @sarah.desai
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Kommentare von Simone Ahrberg-Joung